Von Hans-Ulrich Lüdemann
Zu Buffalo, New York, steht im »USA-Handbuch« von David Stone: »Buffalo, südlich der Fälle gelegen, ist unattraktiv und steht in Konkurrenz zu anderen Städten am Erie See. (...) Wohl kaum jemand sagt der Stadt Buffalo nach, daß sie reizvoll und schön sei.« Schuld, so heißt es, sei die anhaltende Rezession. Was Wunder also, daß wir einen Umweg flogen über Toronto und im beschaulichen kanadischen Niagara Falls Quartier nahmen. Von hier waren es nur noch etwa 30 Kilometer am Niagara River entlang zu unserem Ziel.
Buffalo - wir kommen! Unsere Stimmung war ausgezeichnet. Meine Idee: wir suchen Straßen auf, die nach Luther Füller, John Maynard's historischem Vorbild, benannt waren. Wie stolz würden wohl deren Anwohner heute sein, daß ihre Vorfahren einst dankbar des tapferen Seemannes gedacht hatten. Es gab laut Stadtplan drei Füller Streets: die er-,ste befand sich stadteinwärts. Ein Riverwalk in der Nähe bot sich geradezu an für ein Ehrenmal. Dachte ich. Aber außer einem grünweißen Namensschild gab es nirgendwo Hinweise auf Fontanes Helden. Doris fragte mit gebührendem Abstand eine Frau, die aussah wie jede liebe Großmutter auf der Welt eben aussieht, nach Luther Füller alias John Maynard, Helmsman of the Swallow Der, laut Fontane, aus Detroit kommend und an Rauchvergiftung sterbend, die brennende »Schwalbe« rettend auf den Buffaloer Strand gesetzt hatte ...
Nummer Zwo: mit Vorgärten und Schatten spendenden alten. Bäumen atmete die Sackgasse Landluft. Auf der rechten Straßenseite existierte eine Mechanische Werkstatt, die laut Firmenschild einem gewissen Füller gehörte! Schräg gegenüber war sogar Schwarz-Rot-Gold geflaggt! Das wäre doch nicht nötig gewesen! dachte ich. Meine Frau fotografierte eifrig. Jan stellte den Caravan in eine Grundstücksauffahrt. Alles ließ sich gut an. Plötzlich war Schluß mit lustig: Ein Streifenwagen rollte heran, versperrte uns demonstrativ den Rückweg zum Military Highway Wer, zum Teufel, hatte ihn gerufen? Der Polizist führte sich auf, als gehörten wir zum direkten Umfeld einer Straßen-Gang. Seine Fragepause nutzend, wollte mein Sohn die brenzlige Lage mit einem Hinweis auf unsere Pässe entschärfen. Vergebens. Der schlagstockbewehrte T J Hooker im Schmalfilmformat nahm jetzt Doris ins Visier Sie verwies auf John Maynard, Fontane und Luther Füller, um dessen Willen wir uns hier aufhielten. War es Desinteresse oder wußte der Uniformierte mit den Namen nichts anzufangen? Seiner Macht bewußt und sie ausspielend, befahl er uns, schnellstens aus dieser Gegend zu verschwinden. Scheinbar ohne weiter Notiz von uns zu nehmen, entfernte sich der bullige Ordnungshüter Wir riskierten nichts - Jan fuhr ebenfalls los. An der Kreuzung auf Grün wartend, sah ich ein geparktes Polizei-Auto. Der sonnenbebrille Rambo-Verschnitt behielt uns im Auge.
Ich bestand darauf, meine dritte Füller Street aufzusuchen. Wir fuhren auf einer mit Schlaglöchern übersäten Nord-Süd-Tangente Richtung Süden. Zur Ehre dieser Stadt soll eines gesagt werden: Buffalo, 1801 als New-Amsterdam gegründet, hat nichts am Hut mit dem berühmtberüchtigten Buffalo Bill alias William Frederick Cody (1846-1917), der sich brüstete, beim Furagierenin 17 Monaten über 4000 Büffel abgeschossen zu haben ...
Pech! Auch in dieser Straße gab es keinen Fingerzeig auf Fontanes Steuermann. War es die Furcht vor neuer Schi-
kane oder der Umstand, daß ich zu Hause keinem Redakteur Rechenschaft ablegen mußte - weitere Recherchen vor Ort zu John Maynard blieben aus. Zurück in Berlin, erhielt ich Post von einer Buffalo and Erie Historical Society Ms. Bell schrieb mir zu John Maynard sinngemäß, so viele deutsche Besucher hätten sich enttäuscht gezeigt, weil es hier kein Denkmal für John Maynard gibt, »daß kürzlich eine Gedenktafel am Hafenrand plaziert wurde.« Verdammichnocheins! Da gab es also im Hafen eine John-Maynard-Gedenkplatte, und ich war nicht vor Ort gewesen? Ms. Bell offerierte noch den Artikel »John Maynard of Lake Erie: The Genesis of a Legend.« Prof. em. George Salomon vom Kenyon College, Gambier, Ohio vertrat als Leiter einer Arbeitsgruppe u.a. folgende Meinung: Zwei oder drei Generationen war die Legende vom heldenhaften Steuermann auf dem Erie-See nicht nur in Buffalo, sondennauch in den Staaten und im Ausland bekannt. Sie ist in Prosa und Versen erzählt worden. Heute sei er in diesem Lande fast vergessen. Ob der Held eine wirkliche oder erfundene Person war, sei nie richtig untersucht worden. Shepard verweise 1927 als erster auf eine mögliche Quelle: 9.8.1841 Feuer auf dem Dampfschiff »Erie« am Silver Creek (ca. 30 Meilen von Buffalo entfernt bei Dunkirk, d.A.). Steuermann Luther Füller verbrannte, bei der Rettung aller Mitreisenden auf seinem Posten ausharrend. Alle weiterführenden Darstellungen seien bis heute nur Vermutungen. Andere Version: Füller starb nicht im Feuer, er überlebte und erreichte ein »rumerfülltes« hohes Alter, wenngleich unter einem anderen Namen. Äußerst wacklige Beweise dafür seien nie überprüft worden. Ähnlich verhalte es sich mit Varianten der Story zur Namensänderung von Luther Füller zu John Maynard. Eine Coroner-Jury habe den Fall juristisch überprüft: danach seien drei Besatzungsmitglieder gestorben; ein Steuermann Jerome McBride sei mit 26 anderen Schiffbrüchigen vom Steamer »De Witt Clinton« gerettet worden, aber einige Tage später an seinen Brandwunden verstorben. Captain Thomas J. Titus, später als nicht glaubwürdig überführt, vor der Coroner-Jury Ich war die letzte Person, die die »Erie« verließ. Ich denke, Füller blieb am Steuer und verbrannte. Er war immer ein resoluter Mann, nur seiner Pflicht gehorchend
Prof. Salomon erwähnte in seinem umfangreichen Artikel, daß noch ein Steuermann namens Lafferty existiert habe, der, auch von jener »De Witt Clinton« gerettet, noch Jahrzehnte als Gewohnheitstrinker und Bettler in Erie, Pennsylvania, lebte. Er sei 87jährig am 22.11.1900 im dortigen Armenhaus verstorben. Zwölf Jahre später sagte ein ehemaliger Schiffszimmermann Andrew W Blila aus, daß Füller, wie er aus Harbor Creek bei Erie stammend, nicht auf der »Erie« verbrannt, sondern mit dem Leben davongekommen sei und als Mr Lafferty das Zeitliche gesegnet habe. Salomon verweist auf eine anonyme Kurzgeschichte im »Buffalo Commercial Advertiser« vom 12.9 1845. Danach soll ein John Maynard alias Luther (August?) Füller an Bord der »Erie« den Seemannstod gestorben sein...
Nichts geht mehr - ich hatte genug von diesem Verwirrspiel und besann mich wieder auf Theodor Fontane. Das gewünschte Foto vom John-Maynard-Denkmal im Hafen, so beschied Ms. Bell meine Anfrage, würde 35 Dollar bei Paul Maze's Phototech Studio Buffalo kosten. Aus freien Stücken und um die Sache schneller abzuwickeln, lobte ich ein Erfolgshonorar von 60 Dollar aus. Keine Reaktion. Viele Anrufe im Studio - nichts. Mr Maze kam nie ans Telefon. War das normal?
Ein Mike Vogel brachte mich noch mehr auf Touren, als er in den »Buffalo News« vom 23. September 1997 u.a. schrieb, Bildhauer der University of Buffalo hätten das Relief erschaffen. Nach einer letzten künstlerischen Abstimmung sei Prof. Tony Paterson vom Kunstinstitut der hiesigen Universität nun mit seinen Vorbereitungen so weit gediehen, die etwa 1,20 Meter mal 1,20 Meter große Fontane-Skulptur gießen zu lassen. Prof. Paterson habe zwei Motive von Jeff Slomba genannt, die »Erie« und John Maynard, inmitten der Flammen am Ruder stehend. Dazu ein freier Raum für den Balladen-Text in Englisch-Deutsch. (...) Ausgangspunkt dieses kulturellen Aktes seien die vielen Anfragen deutscher Touristen gewesen, die sich in ihrer Schulzeit mit John Maynard hätten beschäftigen müssen. Buffalos Bürgermeister Masiello und der Oberbürgermeister der Schwesterstadt Dortmund, Samtlebe, würden die Tafel am Sonnabend, dem 27 September 1997, 14 Uhr in der Erie Basin Marina
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