- Politik
- Sylvia Plath und Ted Hughes - eine große Künstlerliebe, die dramatisch zerbrach
Von Furien gejagt
Eine literarische Sensation: 35 Jahre nach dem Selbstmord seiner Frau Sylvia Plath brachte der große englische Lyriker Ted Hughes einen aufregenden Band mit 88 Gedichten heraus: »Birthday Letters«. Da der Dichter selbst im Herbst 1998 verstorben ist, muß dieses Buch nun als sein Vermächtnis gelten. Im Kontext dazu steht eine Studie zum Werk der Sylvia Plath, erarbeitet von der Anglistin Elisabeth Bronfen. Außerdem gibt es vom Insel Verlag eine zweisprachige Auswahl der Gedichte Ted Hughes' von den Anfängen bis heute. Welthaltige, bis aufs Keltische zurückweisende geschichtsträchtige Lyrik findet also erfreulicherweise immer noch große Resonanz.
Der Freitod der hochbegabten USamerikanischen Lyrikerin und Erzählerin Sylvia Plath (1932-1963) hat in der Öffentlichkeit zu vielerlei Spekulationen Anlaß gegeben. Dem tritt Elisabeth Bronfen in ihrem Buch entgegen, indem sie vorschlägt, »die Lektüre der Texte Sylvia Plaths von der Faszination des Plath-Mythos zu trennen« und private Schuldzu-
weisungen an den Ehemann der Frühverstorbenen abzuwehren. Mit Eloquenz und Eleganz analysiert sie die autobiographischen Schriften, die Poesie und die Prosa von Sylvia Plath, die in der feministischen Bewegung, aber darüber hinaus in der Literarhistorie Kultstatus erreicht haben.
Doch gerade in der subjektivsten der drei literarischen Gattungen, in der Lyrik, kann die intime Spekulation nicht ausbleiben, zumal Ted Hughes den Nachlaß seiner Frau erst sehr zögerlich, unvollständig herausgegeben, dabei vielleicht sogar vermarktet hat, jetzt aber, 36 Jahre nach seiner Trennung von Sylvia und den beiden Kindern, mit einem eigenen gro-ßen Zyklus aufwartete: Die »Birthday Letters« sind seiner Frau zugeeignet, deren oft wütende, aufschreiende Verssprache er aufgreift. Eine große Künstlerliebe Und -ehe, die dramatisch zerbrach, wird verdichtet, sublimiert, in ihrer Irrationalität bildhaft gemacht.
Hughes weiß um die selbstzerstörerischen Phantasien Plaths, die nicht nur ein »Nervenbündel ohne Identität« sein wollte (so notierte sie in ihren Tagebüchern), sondern eine um Ausdruck ringende, gegen ihre psychische Krankheit
ankämpfende Schriftstellerin, die nicht schreiben mochte, ohne an Dachau und Hiroshima erinnern zu wollen.
In den »Geburtstagsbriefen« spricht Hughes seine Frau mit Du an, in der Gegenwartsform, als lebte sie noch, und in den Erinnerungen an ein Wir Er duzt aber auch verwirrenderweise andere tote Gestalten: »Ich hätte mir nie träumen lassen, so mystisch unsere Schuld auch war, / Daß dein Gespenst nicht von meinem Schatten zu trennen ist...«, heißt es in dem Gedicht »Ein Bild von Otto«, das die traumatische Beziehung Sylvias zu ihrem 1940 verstorbenen Vater Otto Emil Plath aufgreift, der immer als Angstphantom im Leben der Tochter auftauchte und dessen Geist für Hughes sozusagen zum unüberwindlichen Gegenspieler wurde.
Elisabeth Bronfen bezeichnet den Gedichtzyklus zu Recht als »Trauerarbeit« von Hughes: »Durch die Umformung der Unberechenbarkeit des Todes in eine zusammenhängende Erzählung über ihre leidenschaftliche Affäre, ihre überstürzte Heirat sowie seine Unfähigkeit, ihrer Besessenheit von ihrem Vater und ihrem Schreiben etwas entgegenzusetzen, kann er endlich die Furien abschütteln, die ihn seit Sylvia Plaths Tod verfolgen.«
Vergangenheit und Gegenwart sind miteinander verquickt. Orte, Landschaften und ihre Geschichte fließen ineinander, so in dem Gedicht »Nachtflug auf Ariel«. Der Luftgeist aus Shakespeares »Sturm« fügt die österreichische Abstammung von Sylvia Plath mit ihrer Jugend in Massachusetts und den späteren Jahren in England zusammen zu einer schier ekstatischen Überquerung des Atlantik. »Weißgesichtige Blitze,/ Tödliche Stromschläge aus Mondlicht - / Gesichter des vollen oder übervollen oder leeren / Mondes, der dein Herz / Umkippte und vergoß.«
Ariel war ja die Zentralfigur der ersten postum erschienenen Lyriksammlung (1965) von Sylvia Plath, unvollständig ediert; die aggressivsten Texte fehlten. Nun aber nutzt Hughes bewußt deren Schärfe, deren Zorn, deren Gewalt: »Allein / Hätte vielleicht jeder von uns sein Leben leben können. / Als siamesische Zwillinge infizierte jeder von uns beiden / Den anderen mit einer besonderen Seelenvergiftung, / War ein jeder der Pfahl, / Der den anderen durchbohrte.«
Die Kraft der Zerstörung lauert in den freien Versen, aber sie strömt dialektisch zusammen mit der ständigen Wiederkehr im Kreislauf der Natur, im Gang der Jahreszeiten, so wie etwa in den »Osterglokken«: Sylvia und Ted schneiden Frühlingsblumen, die dennoch nach zwölf Monden erneut blühen werden. Flora und vor allem Fauna werden in Bezug gesetzt zum menschlichen Dasein. »Der Tiger tötet nicht«, heißt denn auch die neue
Sammlung des Insel Verlages mit Texten aus mehr als 40 Jahren, in denen Vögel, Fische, Insekten, Haus- und Raubtiere besungen werden als Lebewesen der panischen Erde. Es dominieren dabei die Gedichte aus dem Krähen-Buch und dem Ratten-Zyklus.
Als Poe.ta Laureatus der britischen Krone verfügt Hughes über vielfältigste Mittel der Formensprache. Er sieht das Wortwerk des Schriftstellers gleichrangig neben der Arbeit der Bauern, Bergleute, Fischer Er handhabt das Lied so gut wie das Epigramm, schöpft aus Volksmärchen und kennt die Lyrik seiner Zeitgenossen bis hin zu Thom Gunn genau. Alltagssprache lehnt sich an den elisabethanischen Blankvers oder die altenglische Poesie an. Stabreim, Assonanzen, Endreime, sinnträchtiges Enjambement werden mit raffiniertem Kalkül gleichsam musikalisch eingesetzt in einem drängenden Rhythmus, der zum Leser herüberschwingt und ihn als Gesprächspartner herausfordert.
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