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Mein Verhör beim NKWD-Offizier

  • Lesedauer: 2 Min.

Zu: Spurensuche. Aktion »Versöhnung« (ND vom 31.12.):

Die unter Leitung von Olga Kondraschowa arbeitende »Aktion Versöhnung« hat auch meine Kriegsgefangenen-Akte ausfindig gemacht und für mich kopiert. Als ich erfuhr, sie hätten meine Akte gefunden, in der sich außer meinem Wehrpaß und meinem Bordfunkerschein auch das Protokoll meines Verhörs vor einem NKWD-Offizier befand, interessierte mich vor allem, welche Fragen damals an mich gestellt wurden und welche Antworten ich gab.

Ich kam am 10. Mai 1945 als 21jähriger Fallschirmjäger in der Tschechoslowakei in sowjetische Kriegsgefangenschaft und war bis Dezember 1947 faktisch Zwangsarbeiter im Ural. Ich war kein bewußter Nazi, aber doch ein williges Werkzeug der Faschisten. Nach der Ankunft im Lager im Ural verhörte mich ein Offizier des NKWD, also des Volkskommissariats für innere Angelegenhei-

ten der UdSSR. Ich erinnere mich, daß ich große Angst vor dem Verhör und um mein weiteres Schicksal hatte.

Vor mir liegt die von der »Aktion Versöhnung« übersandte Kopie des Protokolls mit den 40 Fragen und meinen Antworten, von mir am 1. September 1945 unterschrieben. Wenn ich mich in die damalige Situation zurückversetze: Ich hätte Fragen an einen deutschen Soldaten, der nach diesem mörderischen Kriege bewaffnet und mit dem Hakenkreuz auf der Uniform in einem fremden Lande aufgegriffen wurde, kaum anders stellen können. Besonders interessant finde ich die Fragen, aus welchem Elternhaus ich kam, als was ich gearbeitet hatte, ob ich freiwillig oder auf Einberufung in die Nazi-Wehrmacht kam, welche Nazi-Auszeichnungen ich hatte, ob ich übergelaufen bin oder gefangengenommen wurde.

Ich hatte vor dem Mai 1945 selbst gesehen, wie Faschisten mit sowjetischen Kriegsgefangenen umgegangen waren. Jahrzehnte danach staune ich, wie sachlich ein NKWD-Offizier am Ende des Krie-

ges mit mir verfuhr. Über mich wurde eine ordentliche Personalakte angelegt, auch über die folgenden Gesundheits-Untersuchungen, bis zu meiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft im Dezember 1947. Ich habe meine Arbeit und meinen Lageraufenthalt niemals als Schikane oder Rache angesehen, sondern als berechtigten Anspruch der Sowjetunion zur wenigstens teilweisen Wiedergutmachung durch Arbeit.

Ich weiß, daß sowjetischen und anderen Menschen Schreckliches durch das NKWD geschah. Was mich betrifft, kann ich bestätigen, daß meine Behandlung unter den Bedingungen der Nachkriegszeit gerechtfertigt, sachlich und human geschah.

Der Moskauer Aktion »Versöhnung«, die für deutsche Überlebende oder Angehörige Akten sucht und kopiert, ist für ihre Arbeit und Toleranz herzlich zu danken.

Werner Grossert 06842 Dessau

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