- Politik
- PDS pflegt SPD-Erbe. Leipziger Geburtshaus von Karl Liebknecht wurde Gedenkstätte
Bißchen eng, aber gemütlich
Dietmar Pellmann teilt sein nicht übermäßig großes Dienstzimmer fortan mit Karl Liebknecht bzw. dessen Gästen, denn der Arbeitsplatz des Leipziger PDS-Stadtvorsitzenden ist seit gestern Teil einer Gedenkstätte. 80 Jahre nach der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg wurde im Parterre der Braustraße 15, wo von 1867 bis 1881 die Familie Wilhelm Liebknecht wohnte und 1871 Karl Liebknecht das Licht der Welt erblickte, eine dreiteilige Dauerausstellung installiert. Im Flur, zwischen dem Büro der Bundestagsabgeordneten Barbara Höll und Täve Schur und Pellmanns Zimmer, wird über die Geschichte des Hauses von 1858 bis heute informiert.
Zentrum der Gedenkstätte ist das Zimmer, das im September 1874 Karl Marx beherbergte, als er sich in Leipzig aufhielt. Jetzt ist es vornehmlich Wilhelm Liebknecht gewidmet, einer »Führungsperson bei der Konstituierung der Sozialdemokratie« (Pellmann), ja »von diesem Haus gingen Impulse für die Parteiwerdung der Sozialdemokratie aus«. Leider sei Wilhelm Liebknecht »in der DDR unterbelichtet« worden, er habe nicht in den Kampf gegen den sogenannten So-
zialdemokratismus gepaßt, schätzt Pellmann ein. Insofern werde durch die von der PDS-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung konzipierte Ausstellung »das DDR-Geschichtsbild in Taten korrigiert«.
Das Haus, unter dessen Dach von 1953 bis 1991 eine Karl-Liebknecht-Gedenkstätte ihr Domizil hatte, soll nun als »Liebknecht-Haus« der gesamten Familie gerecht werden und Karl »als Mensch, nicht nur als Märtyrer« darstellen. Dies geschieht in Pellmanns Zimmer in fünf Abschnitten unter den Überschriften »Aus Kindheit und Jugend«, »Karl Liebknecht mit Familie«, »Gegen Militarismus und Reaktion«, »Krieg dem Kriege« und »Trotz alledem«. Der letztere Abschnitt zeigt seine Kampfgefährten, allen voran Rosa Luxemburg, aber auch Wilhelm Pieck, Clara Zetkin und Franz Mehring. Pellmann ist stolz darauf, daß kein Name dem herrschenden Zeitgeist geopfert wurde.
Der Wilhelm-Liebknecht-Platz in Leipzig wurde 1991 mit den Stimmen der SPD umbenannt, der Versuch der PDS, nach der gegen ihren Willen durchgesetzten Umbenennung des Dimitroff-Platzes Wilhelm Liebknecht als »Ersatzmann« auf die Straßenschilder zu bringen, stieß auf wenig Gegenliebe bei den SPD-Politikern im Rathaus. Überhaupt habe die SPD ihre Leipziger Traditionen
preisgegeben, um die sich nun die PDS kümmere, wobei deren Stadtvorsitzender politischen Mißverständnissen vorbeugen möchte: »Eine zweite sozialdemokratische Partei brauchen wir nicht, sondern eine Partei des dritten Weges«, er persönlich neige daher weder der SPD noch der KPD zu.
Karl Liebknechts Liebe gehörte übrigens nicht nur der Politik. So gibt es in der Dauerausstellung ein hinreißendes Foto von 1913: Karl Liebknecht liegt mit seiner Frau Sophie entspannt auf einer Blumenwiese in Oberwiesenthal, eine Hand zärtlich auf die Gattin gelegt. - Ohne Leidenschaft wäre auch das Leipziger Liebknecht-Haus nicht zu dem geworden, was es jetzt ist. Aus 106 Orten flössen 380 000 Mark Spendengelder. Nach jahrelangem nervenaufreibenden Tauziehen schloß die PDS im November 1997 mit der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft einen Erbbaupachtvertrag über 75 Jahre mit anschließender Kaufoption ab. Am 4. Juli 1998 wurde das Haus mit einem Straßenfest öffentlich eingeweiht.
Die faszinierende Idee, sich im Geburtshaus von Karl Liebknecht anzusiedeln, wurde durch die Not befördert. Zunächst warf die SPD-eigene Immobiliengesellschaft »Konzentration« die PDS per Kündigung aus ihrer Zentrale in der Rosa-Luxemburg-Straße. Dies war das Er-
gebnis einer Rückübertragung, die »Konzentration« stand bis 1933 als Eigentümerin im Grundbuch. Die Hoffnung der PDS, ihrerseits eine Immobilie aus dem Eigentum der SED in Leipzig zugesprochen zu bekommen, zerstob nach dem Vergleich zwischen Bundes-PDS und staatlichen Vermögensverwaltern. Die ersatzweise angemieteten Räumlichkeiten taugten nur zum Provisorium. So richtete sich der Blick aufs ehemalige Wohnhaus der Familie Liebknecht.
Die von den Professoren Wolfgang Schröder und Siegfried Scholze gestaltete Gedenkstätte steht dienstags und donnerstags jedermann offen, ansonsten ist eine Anmeldung erforderlich. Pellmann hat sich jedenfalls schon darauf eingestellt, daß sich ganze Schulklassen in seinem Arbeitszimmer drängen. Es sei zwar alles ein bißchen eng, aber gemütlich. Wer daran Anstoß nimmt, bekommt zur Antwort: »Die Familie Liebknecht hatte nun mal keine größere Wohnung.«
Nun steht die schrittweise Rekonstruktion des gesamten Anwesens an, wenn dafür Geld da ist. Die turbulente Vorgeschichte der neu gestalteteten Gedenkstätte und des gesamten Liebknecht-Hauses in heutiger Gestalt haben der Rekonstruktions-Verantwortliche Volker Külow und Dietmar Pellmann in einer lesenswerten illustrierten Chronik »Der Sache keine Schande machen« zusammengefaßt, deren Erwerb für eine Spende von mindestens vier Mark dem Haus zugute kommt.
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