Manhattan-Projekt in Thüringen?

Spektakuläre »Enthüllungen« über erste Atombombe

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Geschichtsschreibung kennt viele Verschwörungstheorien. Und manchmal steckt dahinter sogar ein Körnchen Wahrheit. Nur: Was Edgar Mayer und Thomas Mehner in ihrem Buch »Das Geheimnis der deutschen Atombombe« (Kopp-Verlag Rottenburg, 283 S.) jetzt der Öffentlichkeit präsentieren, schlägt alles Dagewesene um Längen. An Hand von Augenzeugen- und anderen Berichten wollen sie dem Leser glauben machen, dass Hitler doch Atombomben besessen habe. Einige Exemplare seien unter anderem in Thüringen getestet worden, ohne dass die meisten Anwohner davon etwas bemerkt hätten. Bleibt die Frage, wer diese Bomben wohl konstruiert haben mag. Werner Heisenberg, der führende Physiker jener Zeit in Deutschland, kommt für die Autoren nicht in Betracht, da die Nazis ihm angeblich misstrauten. Auch die Gruppe um Kurt Diebner vom Heereswaffenamt scheint nicht das Zünglein an der Waage gewesen zu sein. Wer dann? Zwei Namen stehen auf der Kandidatenliste ganz oben: Manfred von Ardenne und der Kernphysiker Fritz Houtermans. Beide hätten im Auftrag der Deutschen Reichspost die Bombe im Ardenne-Institut in Berlin-Lichterfelde bis zur Prototyp-Reife entwickelt. Zum Beleg muss einzig die Tatsache herhalten, dass Houtermans bereits 1941 in einem Aufsatz über Plutonium als Kernsprengstoff nachgedacht hat. Jede Menge haarsträubender Details finden sich dagegen in dem Bericht des österreichischen Physikers Friedrich Lachner, an dessen Echtheit zu zweifeln die Autoren keinen Anlass sehen. Danach hätten die Deutschen nicht nur an der Atom-, sondern auch an der Wasserstoffbombe gearbeitet. Vor allem SS-Chef Heinrich Himmler sei von der Idee einer nuklearen Zerstörungswaffe fasziniert gewesen und habe deren Entwicklung und Produktion bis zuletzt forciert. Lachner: »Zur Zeit der Ardennenoffensive von General Rundstedt wäre es beinahe wirklich zum Einsatz einiger Atombomben gekommen.« Die Westwinde hätten dies jedoch ebenso verhindert wie das spurlose Verschwinden einiger Sprengköpfe. »Wo sind meine Atombomben?« soll Hitler verzweifelt gerufen haben. Vermutlich wurden sie von meuternden SS-Gruppen weggeschafft, meint Lachner. Erst nach dem Krieg seien einige dieser Bomben wieder aufgetaucht, und zwar deklariert als Eigenkonstruktionen der Sowjets und US-Amerikaner: »Die auf Japan abgeworfenen Atombomben waren deutsche Bomben«, behauptet er kühn. Allein über die Zahl der Nazi-Atombomben streiten sich bis heute die »Experten«. Waren es 15, wie Lachner seinerzeit gehört haben will, oder nur sechs, wie er später angeblich herausfand? Anderweitig ist sogar von Serienfertigung die Rede. Doch wo befanden sich die Produktionshallen? Eine heiße Spur führt nach Meinung der Autoren ins thüringische Jonastal zwischen Ohrdruf und Arnstadt. Hier habe die SS gegen Ende des Krieges ein gewaltiges unterirdisches Bunkersystem errichtet, die Stollen aber vor Ankunft der US-Armee zum größten Teil gesprengt. Weiter erfahren wir, ein gewisser Adolf Bernd Freier aus Argentinien habe den Autoren mitgeteilt, er sei selbst Zeuge der Zündung einer Atombombe im Jonastal gewesen. Als Konstrukteure der Waffe nannte er Diebner und Ardenne. Doch die Story geht noch weiter: Am 27. März 1945 sei der »Führer« plötzlich im Jonastal erschienen, um den Start der ersten, in Peenemünde entworfenen Interkontinentalrakete zu verfolgen, die einen Atomsprengkopf nach New York tragen sollte. Warum kam es nicht dazu? Waren womöglich wieder Saboteure am Werk, die die Rakete lieber an die Amerikaner verscherbeln wollten? Nichts Genaues weiß man nicht. Denn wie die Autoren uns versichern, gebe es noch viele ungelöste Rätsel aus der Militärgeschichte des Dritten Reiches, die mit der bisherigen Lehrmeinung unvereinbar seien. Man muss halt nur fest daran glauben.

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