»Kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben?«
Einbürgerung Die Bundesregierung plant Erleichterungen und erfindet Hindernisse /Antwort auf Leserfragen Von Uwe Kalbe
Die Kampagne der Unionsparteien gegen die doppelte Staatsbürgerschaft erschwert zusätzlich eine rationale Bewertung der Regierungspläne zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Viele Menschen interessieren sich, auch in Briefen an das ND, jedoch gerade für diese. Im folgenden einige der Leserfragen. Welche rechtlichen Folgen hat die CDU-Unterschriftenaktion gegen den Doppelpaß?
Keine. Sie ist lediglich politisches Druckmittel. Und sie verschärft nach Befürchtung vieler Kritiker die fremdenfeindliche Stimmung allgemein. »Kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben?«, fragte in diesen Tagen ein Bürger auf dem Berliner Winterfeldplatz. Übrigens unterschrieben 1993 eine Million Menschen - für die doppelte Staatsbürgerschaft Ohne Folgen. Da regierten noch die heutigen Unterschriftensammler. Zudem: Der SPD-Entwurf stellt den Erleichterungen im Einbürgerungsrecht neue, bisher nicht vorhandene Hindernisse an die Seite. So die Einschränkung auf jene Personen, die nicht Arbeitslosenoder Sozialhilfeempfänger sind.
Was bezweckt die Bundesregierung mit der Staatsbürgerschaftsreform?
Mit der Reform insgesamt eine Angleichung der Rechtsverhältnisse an die Gegebenheiten. 7,4 Millionen Menschen, rund zehn Prozent der Bevölkerung, das heißt, der hier dauerhaft lebenden Bürger, gelten als Ausländer und verfügen damit über geringere Rechte. Die Bewahrung des sozialen Friedens, aber auch die Prognosen der Bevölkerungsentwicklung lassen die Reform seit langem dringlich erscheinen. Ohne permanente Zuwanderung würde Prognosen zufolge die Bevölkerung in den alten Bundesländern bis 2050 auf 39 Millionen und in den neuen auf neun Millionen sinken.
Wollen Ausländer die doppelte Staatsbürgerschaft überhaupt oder ist dies gar eine unerbetene Wohltat von oben?
Die doppelte Staatsangehörigkeit ist ein Angebot der Politik. Eine Geste, die Integration erleichtern soll. Ob sie angenommen wird, bleibt abzuwarten. Nach einer Studie 1994 waren 21 Prozent der türkischen Befragten und 37 Prozent der aus dem ehemaligen Jugoslawien bereit zu einer deutschen Einbürgerung. Wenn diese zu ihrer bisherigen Staatsbürgerschaft zu erhalten gewesen wäre, waren 56 Prozent der Türken und 71 Prozent der Jugoslawen zu diesem Schritt bereit.
Welche Haltung gegenüber der doppelten Staatsbürgerschaft
nimmt die Türkei ein, das Herkunftsland der meisten potentiell Berechtigten?
Ankara hat die geplante Reform begrüßt, allerdings auch, um »die Position der Türken in Deutschland« zu stärken. Die Reform sei »das beste Mittel, die in Deutschland lebenden Türken in die Gesellschaft zu integrieren«. Die Türkei toleriert doppelte Staatsbürgerschaft.
Ausländer haben vor Kameras bekundet, kein Interesse an der deutschen Staatsbürgerschaft zu haben. Welchen Nutzen können sie von ihr erwarten?
Sie verschafft Ausländern Niederlassungsrechte, so als Arzt oder Apotheker, Mitbestimmung via Wahlrecht, Gleichheit im Steuerrecht, sie erlaubt ihnen, in der EU ohne Visumzwang zu reisen, beseitigt die Nachteile von nicht-deutschen Angestellten gegenüber ihren deutschen Kollegen, die keine Beamten werden dürfen. Die deutsche Staatsbürgerschaft garantiert Schutz vor Ausweisung, beispielsweise in einem solchen Fall wie dem des sprichwörtlichen »Mehmet«.
Welchen Vorteil bringt eine doppelte Staatsbürgerschaft ihren Inhabern?
Für einige ist sie die einzige Möglichkeit überhaupt, in den Besitz der deutschen zu gelangen. Iran beispielsweise entläßt seine Bürger nicht ohne weiteres aus seiner Staatsbürgerschaft. Zudem handelt es sich beim Wechsel der Staatsbürgerschaft um eine komplizierte sozialethnische Entscheidung. Einwanderer der ersten Generation halten sich die Option einer Rückkehr erfahrungsgemäß offen. Anders deren Nachkommen, die bereits hier geboren wurden und Deutsch gewöhnlich besser sprechen als die Muttersprache ihrer Eltern. Sie behalten die
alte Staatsbürgerschaft eher, um Loyalität gegenüber ihren Eltern zu beweisen. Viele beschreiben die Doppelstaatsbürgerschaft als Entsprechung ihrer auch subjektiv empfundenen Identität zwischen zwei Kulturen. Die Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft bringt vielen überdies spürbare Nachteile, wie zum Beispiel im Erbschaftsrecht.
Muß man nun eine Invasion des Islam befürchten, gar seiner extremistischen Vertreter?
In Deutschland gibt es derzeit rund drei Millionen Moslems, 32 000 davon rechnet der Verfassungsschutz extremistischen Organisationen zu. Ein Grund, warum hier lebende Moslems nach einer Einbürgerung zu Extremisten werden sollten, ist nicht erkennbar. Für rund 70 Prozent der türkischen Jugendlichen in Deutschland hat der Islam »große Bedeutung«, wie Forscher feststellten. Daß diese wächst, liegt an der zunehmenden Konfliktlage von Ausländern hier.
Ist abzusehen, daß der Einbürgerungswelle eine neue Nachzugswelle von Verwandten der Eingebürgerten folgt?
Die Bundesregierung spricht von »wenigen tausend«, Bayerns Innenminister Günther Beckstein ist sicher, daß dies »über die Jahre in die Hunderttausende gehen« werde. CDU-Chef Wolfgang Schäuble warnte kürzlich vor 500 000 nachziehenden Ausländern. Tatsächlich bezieht sich das Recht auf Familiennachzug bisher wie auch künftig auf Verwandte ersten Grades. Das sind Kinder, Eltern, Geschwister. Die jedoch können auch nach schon geltendem Recht zu ihren Verwandten in Deutschland ziehen.
Sind Konflikte für Menschen mit zwei Staatsangehörigkeiten programmiert, wenn sie zwei ver-
schiedenen Gesetzespflichten genügen wollen?
Bereits heute leben in Deutschland rund zwei Millionen Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft, ohne daß nennenswerte Loyalitätskonflikte bekannt geworden wären. Im Falle der EU-Union gelang die Klärung der gesetzlichen Konsequenzen ohne Aufsehen. Es wurde geklärt, daß Personen nur einmal wählen und gewählt werden können. Auch in der Türkei gilt, daß wahlberechtigt nur ist, wer seinen ständigen Aufenthalt in der Türkei hat. Außerdem steht der Weg von Nachfolgeabkommen offen wie zum Beispiel zum Scheidungs- oder im Privatrecht. Auch zum Wehrdienst gibt es zwischenstaatliche Regelungen. Seit 1996 auch mit der Türkei - Wehrdienst muß nur einmal geleistet werden.
Können sich Doppelstaatler das jeweils günstigere Recht ihrer Heimatländer aussuchen?
Auch hierbei gilt das Wohnsitzprinzip, wie etwa beim Bezug staatlicher Leistungen, so von Rente oder Leistungen aus der Sozialversicherung.
Sorgt massenhafte Einbürgerung nicht für eine zusätzliche Verschärfung auf dem Arbeitsmarkt?
Das jetzige Arbeitspapier von Bundesinnenminister Schily sieht die Klausel vor, daß nur Menschen eingebürgert werden, die ihren Unterhalt selbst bestreiten (volle Geschäftsfähigkeit). Die Grünen bemühen sich noch, diese Klausel zu ändern. Unter den in Deutschland lebenden Türken ist jeder dritte arbeitslos. Diese würden dann auf Arbeitsämtern rechtlich gleichgestellt. Die Frage könnte auch hei-ßen: Sind uns Ausländer als Sozialhilfeempfänger lieber? Unter dem engen Blickwinkel des Steueraufkommens: Billiger sind sie dann nicht. In die Steuer-
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