Fast 4,5 Millionen Arbeitslose - Angst vor Konjunkturschwäche
Arbeitsmarkt Proteste in 100 Städten und auf Dach der SPD-Zentrale / Thüringer Arbeitslosenparlament konstituiert
Die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik ist im Januar um 257 900 auf 4,455 Millionen geklettert. Ein Jahr nach Beginn der öffentlichen Proteste gegen die Massenarbeitslosigkeit gingen mehrere tausend Arbeitslose in rund 100 Städten auf die Straße. In Thüringen kostituierte sich ein Arbeitslosenparlament.
Nürnberg/Erfurt (dpa/ADN/ND-Liebers). »Wir können nicht mehr ausschließen, daß sich die derzeitige Schwächephase der Konjunktur am Arbeitsmarkt auswirkt«, sagte der Präsident der, Bundesanstalt für Arbeit, Bernhard Jagoda, am Dienstag in Nürnberg. Vor allem im Verarbeitenden Gewerbe der alten Bundesländer hätten sich im Januar wesentlich mehr Menschen arbeitslos gemeldet als ein Jahr zuvor.
Die Zahl der Erwerbslosen stieg im Westen im Januar um 140 400 auf 3,025 Millionen, im Osten waren 1,430 Millionen Arbeitslose registriert, 117 400 mehr als vor einem Monat. Im Vergleich zum Vorjahr waren bundesweit 368 000 Arbeitslose weniger gemeldet. Der DGB bezeichnete die Arbeitslosigkeit als »nach wie vor bedrückend hoch«. Es gebe aber Hoffnung, daß weitere Anstrengungen zur Bekämpfung der Jobmisere durchschlagen könnten, sagte DGB-Vize Ursula Engelen-Kefer. Die IG BAU forderte Bonn angesichts von 336 567 arbeitslosen Bauarbeitern auf, das Schlechtwettergeld wieder einzuführen.
Aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion zeigen die neuen Arbeitsmarktzahlen, daß sich die »verhalten positive Grundtendenz am Arbeitsmarkt« fortsetzt. Die Sprecherin des Grünen-Bundesvor-
stands, Gunda Röstel, sagte: »Der Abbau der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit bleibt weiterhin unsere schwerste Hypothek.« PDS-Arbeitsmarktexpertin Heidi Knake-Werner erklärte, nun räche sich, daß Kanzler Schröder und sein Team nicht unmittelbar nach Ämtsantritt über das Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit hinaus rasch gehandelt haben. CDU-Wirtschaftsexperte Friedhelm Ost meinte, die Irritationen in der Wirtschaft über die Steuerpolitik der Bundesregierung hätten zu einem gefährlichen Abwarten seitens möglicher Investoren geführt.
Vertreter von Arbeitsloseninitiativen gingen am Dienstag in über 100 Städten auf die Straße. In Bonn stiegen Arbeitslose auf das Dach der SPD-Parteizentrale, um für eine gerechtere Verteilung der Erwerbsarbeit zu demonstrieren. In Erfurt konstituierte sich ein Arbeitslosenparlament für'Thüringen. Mit der neuen Form des Protestes soll zugleich eine neue Qualität erreicht werden, betonte der Landesvorsitzende der Arbeitsloseninitiative Thüringens, Hans-Hermann Hoffmann. Aus seiner Sicht haben Arbeitslose mit ihreri Aktionen dazu beigetragen, daß die liberal-konservative Regierung in Bonn abgewählt worden ist. Jetzt solle die Arbeit der neuen Regierung kritisch begleitet und sie an ihre Wahlversprechen kontinuierlich erinnert werden. Die Arbeitslosen wollten ihr auch Mut machen, eine unternehmerunfreundliche Politik zu betreiben. Hoffmann, der zum Präsidenten des Arbeitslosenparlaments gewählt wurde, wertete es als unverständlich, daß CDU und SPD im Verein mit der Thüringer Landtagsverwaltung die Tagung des Arbeitslosenparlaments in den Räumen des Landtages mit der Begründung verweigerten, das könne als Wahlkampfveranstaltung
der PDS mißbraucht werden. »Wir wollen den Arbeitslosen eine Stimme geben und mit attraktiven Aktionen dafür sorgen, daß diese Stimme auch gehört wird«, sagte die stellvertretende DGB-Landeschefin Renate Licht. Ingrid Schindler, Geschäftsführerin der Arbeitsloseninitiative, schrieb der Bundesregierung ins Stammbuch, 100 Tage Hoffnung dürften jetzt nicht enttäuscht werden. Eine ar-
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