- Politik
- Heute vor zehn Jahren starb der Schriftsteller Thomas Bernhard
»Jeder mag sein Land. Ich auch. Aber doch nicht den Staat.«
Die guten - toten! - Dichter haben irgendwann ihr Erfolgserlebnis: Denn sie schrieben nicht nach der Wirklichkeit, sondern vor ihr. Und irgendwann wird die Wirklichkeit so, wie sie von ihnen beschrieben wurde. Ja, die Wirklichkeit übertreibt die guten Dichter. Wie gesagt: Da sind die oft schon tot.
Wie erscheint er mir, dieser unglückliche, heitere, abweisende, Liebe suchende Schriftsteller Bernhard? Die lustvolle Demontage der .Sinnhaftigkeit als Kern seines Menschseins. Daß alles viel schlimmer sei - just dies gibt seinem Werk das verstörend Spielerische und hält es unergründlich zwischen den Polen Wahn und Witz.
Auf welche Weise stelle ich mir vor, wie er durchs Leben flieht? Wenn Leben denn das sein soll, was einer wie er in Wien auszuhalten hat.
Menschenhasser? Mag sein, die Augen des Modernen, Eiseskalten funkeln boshaft wie die Texte, aber immer nur in den Winkeln; im übrigen trifft den Betrachter zum Beispiel von Porträtfotos etwas, das aus den Texten manchmal nur zwischen den Zeilen lesbar ist: Güte, Gemütlichkeit, mitteilungsfreundliche Boshaftigkeit, die nicht fern von Spaß angesiedelt ist.
Immer genügend Schritte voraus, grau, geprüft und fluchtbereit - so stellen wir uns das vor - ringt die ständige Begleiterin Grete Hufnagl die Hände: Thomas, ich bitt' dich, komm weiter!
Nein, sagt Thomas Bernhard, der Verneiner, und bleibt stehen. Seit dem Cafe Bräunerhof in besagtem Wien - so stellen wir uns vor - sind irgendwelche Journalisten hinter ihm her, immer, jeden Tag. Und sie jage n ihn mit.dieser perversen Wiener Sanftheit und Zurückhaltung, die er wieder und wieder beschrieben hat. Vorbei an den Antiquitätenläden, über die Habsburgergasse in den Michaelerdurchgang, der zur Hofburg führt. In der Enge der barocken Häuserschlucht - stellen wir uns vor - haben sie ihn dingfest gemacht.
Ich sage nichts, sagt Thomas Bernhard. Und wir stellen uns zweckgerichtet vor, es sei “im Herbst 1988. Es ist die Zeit, da in wenigen Wochen am Burgtheater das Stück »Heldenplatz« uraufgeführt wird. Hauptperson ist ein jüdischer Professor, aus der Emigration ins aktuelle Wien heimgekehrt und diesen Schritt sogleich bereuend, denn sein Bruder hat sich schon umgebracht, und er selber rüstet zur eiligen Flucht: »Ich wache auf und habe es mit der Angst zu tun/ die Zustände sind ja wirklich so wie sie achtunddreißig gewesen sind/ es gibt jetzt mehr Nazis in Wien als achtunddreißig.«
Das (nebst einigen Anmerkungen zu Kurt Waldheim) ist genug. Ein kunstvolltragikomisches Gebilde aus Verfolgung und Verfolgungswahn, Empörung und Empörungskunst wird zur Reichssache. Ein paar Intriganten aus dem Burgthea-
ter haben das Stück, Monate vor der Uraufführung, in Fragmenten der Öffentlichkeit überantwortet.
Seither lodert Österreich. Und Thomas Bernhard ist einer der begehrtesten Interviewpartner Europas. Suhrkamp-Chef Dr. Siegfried Unseld, Bernhards Freund von Anbeginn, wollte per Television beschwichtigen. Das Stück sei bereits abgeschwächt, die Aufregung nicht vonnöten.
Aber nein! sagt Bernhard. Die lange spitze Nase - so stellen wir uns vor zittert vor Vergnügen: Ganz im Gegenteil! Ich hab' es noch verschärft! Ich hab' es am ersten Jänner abgeliefert und seither nur ganz kleine Änderungen vorgenommen, weil ich mir gedacht hab', »Lügner« kann zum Waldheim ein jeder sagen. Jetzt heißt es «verlogener Banause«, das klingt doch gleich besser. Auch «pfiffiger Börsenspekulant« für den Vranitzky war
mir zu billig. Da kommt auch ganz was anderes. Was noch Scheußlicheres: »Staatsverschacherer«. Ich weiß gar nicht, was dem Unseld, dem Deppen, da im Fernsehen eingefallen ist! Ich hab' ihn heute in der Früh zusammengeschrien am Telephon. Nur die Sekretärin hat mir dann leid getan.
Man hört, Bernhard - so die ewiggleiche Frage an ihn -, Sie wären mit einem Gehstock attackiert worden?
Das stimmt. Es war am Montag in der Billrothstraße. Ich bin grad noch an den Bus hineingehupft. »Umbringen sollt man Ihnen!« Das nächste ist aufhängen und vergasen. Das täten s' eh alle, wenn s' könnten. Inklusive Papst. Der tat' ja auch alle vernichten lassen, wenn er könnte.
Wenn Sie nun erleben, wie alle möglichen Leute Stellung nehmen, ohne das Stück zu kennen...
Na ja, das ist so in diesem Land. Da ist ja auch ein Theater. Bitte, mein Stück
ist auch scheußlich. Aber das Theater rundherum, das ist noch scheußlicher. Nur sollte das eine die Kunst sein, und das andere ist das Leben.
Haben Sie nicht daran gedacht, auszuwandern?
Aber an das denke ich doch seit der Kindheit, ununterbrochen! Ich bin das halbe Jahr eh nicht da. Aber am liebsten bin ich in Wien. Da hab' ich meine kleine Wohnung, da brauch' ich niemanden dazu, die kann ich selber beherrschen. Alle drei Wochen fahr' ich mit einem Fetzerl drüber, die Wasserhähne funktionieren, die Geschäfte hab' ich gleich unten... nicht so wie auf dem Land, wo man ausgehen muß und einem die Vernichtungsblicke durch das ganze Dorf folgen.
Was ist Ihnen denn noch passiert?
Na ja, Anpöbelungen - ununterbrochen. Da war eine alte Frau mit Krücken, auf dem Kohlmarkt, die wollt' schon auf
mich einschlagen, aber dann ist ihr eingefallen, wenn sie die Krücke hebt, fallt sie vornüber. Hat sie es lieber bleiben lassen.
Was haben Sie gegen Österreich? Oder lieben Sie es vielleicht heimlich? .
Jeder mag sein Land. Ich auch. Nur den Staat mag ich nicht.
Und Bernhard - stellen wir uns nun vor - verschwindet um die Ecke zur Hofburg. Schmale Gestalt, ein Hauch von Landadel in Gediegenem, Gestricktem und Gewalktem,
Am 4. November 1988 wurde »Heldenplatz« ohne nennenswerte Vorkommnisse uraufgeführt. Am 12. Februar 1989, dem Todestag seines Großvaters, des Dichters Johannes Freumbichler, starb Thomas Bernhard nach langem, schwerem Leiden namens Österreich.
Viele Nachrufe wurden ihm geschrieben, doch keiner hätte ihm so gefallen
wie der von »Frau Alice Hofbauer, Wien 22«, die sich mittels telephonischer Leserbeschwerde an die Fernsehredaktion des Wiener »Kurier« wandte: »Gott hab' ihn selig, aber Thomas Bernhard war für Österreich nicht da, und ein Nachruf in Österreich ist für ihn absolut nicht angebracht.«
Er war ein Mann, den man mit journalistischer Obsession umkreisen mußte, gerade weil er in den frühen Erzählungen über seine Biographie bis zur Selbstentblößung Auskunft gegeben hatte.
Geboren am 9. Februar 1931 in Heerlen, Niederlande, Sohn einer österreichischen Hausgehilfin. Den Vater kannte er nicht, den Stiefvater haßte er. Ab 1943 erzogen ihn die Nazis, ab 1945 die Katholiken in ihren Heimen. Seit 1949 zerstörte Morbus Boeck, die Todeskrankheit mit dem Wilhelm-Busch-Namen, seine Atemwege. (Elfriede Jelinek, die ihn von
fern bewunderte, meinte im Rhythmus seiner Schimpfkanonaden das Rasseln und Stampfen seiner kranken Lungen zu erkennen.) Bernhard studierte Musik, wurde Lokalreporter beim Salzburger SP-Blatt und die bedeutendste literarische Erscheinung Österreichs nach dem Krieg. Als er die Kindheit verarbeitet hatte, verweigerte er so gut wie jede weitere Auskunft über sich selbst. Der Vierkanter in Ohlsdorf, Oberösterreich, glich einer Festung: Der Briefträger erklomm täglich die Mülltonne und schleuderte Briefe und Pakete durch einen Fensterschlitz, hinter dem sich die Post von Wochen türmte. Bernhard hatte keinen Briefkasten montieren lassen. Das wäre eine zu deutliche Einladung an die Außenwelt gewesen.
Hinterhältigerweise war Ohlsdorf mit seinen blankgeputzten Aschenbechern, seinem blitzenden Geschirr, seinen spiegelnden, in Reih und Glied kpmmandierten Schuhen ohnehin längst eine Potem-
kinsche Fassade für Literaturtouristen. Denn der Schänder eines allzeit empörungsbereiten Vaterlandes war süchtig nach Seßhaftigkeit: Bernhard sammelte Wohnsitze. Bei seinem Tod waren es derer fünf - nebst Ohlsdorf noch eine Almhütte, ein Appartement in Gmunden, gleich neben der Ordination seines Halbbruders Dr. Peter Fabjan, die Wohnung seiner verstorbenen Tante Hedwig in Wien sowie ein Bauernhaus in Wolfsegg im oberösterreichischen Hausruckviertel.
»Mein Bericht ist nur dazu da, das in ihm Beschriebene auszulöschen, das ich unter Wolfsegg verstehe und alles, das Wolfsegg ist.« Schreibt Bernhard in seinem Roman »Auslöschung«.
Wolfsegg ist nicht wenig: Heimat des 46jährigen Franz-Josef Murau, des Ich-Erzählers aus großbürgerlicher Gutsherrenfamilie, des Außenseiters und Verweigerers mit dem stabilen Haß auf seine näheren und ferneren Lebensumstände: und, darüber hinaus, eine Metapher für ganz Österreich. »Auslöschung« gipfelt in einer bizarren Vision: Murau überläßt »Wolfsegg, wie es liegt und steht, und alles Dazugehörende, als ein völlig bedingungsloses Geschenk der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien«.
In Wolfsegg hat er sich 30 Jahre lang wohlgefühlt, gibt Halbbruder Dr. Peter Fabjan einem Reporter zu Protokoll. Das sei immer einer seiner Wesenszüge gewesen: Er hängte sich mit übergroßer Leidenschaft an alles, was er liebte. Er wartete förmlich darauf, enttäuscht zu werden, um seine Liebe in Haß umschlagen zu lassen. Und wenn die Enttäuschung nicht freiwillig kam, erklärte er den Krieg. Er war, so Fabjan, sieben Jahre älter als ich, sein Vater war im Krieg gefallen, den Stiefvater, den er Vormund nannte, hat er nicht akzeptiert. Meine jüngere Schwester und ich waren ihm immer fremd. Es gibt ein Foto aus der Nachkriegszeit, da sind wir beide beim Hamstern abgebildet. Er hoch auf dem Fahrrad, ich renne mit meinen kurzen Beinen neben ihm her Dieses Bild ist symbolhaft für unser Verhältnis.
Er liebte Österreich wie kein zweiter, sagt Claus Peymann. Wie hätte er es sonst so hassen können?
Freunde hatte er wenige. Der Kunsthistoriker Wieland Schmied war einer. Mit ihm konnte er sich in wahre Euphoriemder-'Ausgelassenheit steigern: Bernhard Minetti traf er selten, »und dann waren wir einander sehr nahe« (Minetti). Kurz vorm Tod besuchte er die Schauspielerin Marianne Hoppe im Bayerischen. Der Bühnenbildner Karl-Ernst Hermann erinnert sich an die Disziplin im Angesicht des Todes. Wie ihn auf dem Michaelerplatz die Kräfte verlassen hätten. Wie er aber um nichts auf der Welt zum Einbekenntnis seiner Schwäche bereit gewesen sei, sondern Interesse für den Kaiseradler an der Hofburg gemimt habe, um sein Stehenbleiben zu tarnen.
Geliebt hat er nach dem Tod des Großvaters wohl nur seine Tante. »Mein Lebensmensch«, schrieb er.
Sein Testament strafte die, die ihn liebten: Keines seiner Worte, sei es gedruckt oder gesprochen, dürfe fortan in Österreich verbreitet werden.
Als Bernhard gestorben war, sagte George Tabori, der ihn liebte, aber nicht kannte: »Ich habe ihn um etwas beneidet, das ich nicht habe: um seine Pathologie. Er war ja immer krank, was für einen Künstler sehr nützlich ist.«
Was er meinte, ist wohl die Fähigkeit, die Welt vom Standpunkt eines kranken Kindes zu betrachten.
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