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mmm- Rußland mischt wieder mit

Zehn Jahre nach dem sowjetischen Truppenabzug Von Thomas Ruttig

  • Lesedauer: 3 Min.

Nach einigen Jahren Pause interessiert sich Rußland wieder für Afghanistan. Dabei kommt es zu merkwürdigen Allianzen.

Mudshahedin-Kämpfer zielt nach der Eroberung Kabuls im April 1992 mit seiner Kalaschnikow auf eine Lemn-Statue, die zuvor eine afghanische Schule oder ein Büro geziert hatte.

Foto:

Peter Deionq/AP

Ein Orchester donnerte. Das Land begrüßte seine heimgekehrten Söhne. »Unsere Jungen sind zurückgekehrt, nachdem sie ihre internationalistische Pflicht erfüllt haben. In all diesen Jahren haben sowjetische Soldaten in Afghanistan Hunderte von Schulen, Lyzeen, Schuleinrichtungen, 30 Krankenhäuser und ebensoviele Kindergärten, etwa 300 Wohnhäuser, 35 Minarette, Dutzende von Brunnen, etwa 150 Kilometer Bewässerungsgräben und Kanäle repariert und gebaut«, schrieb die »Moskowskaja Prawda« am 7 Februar 1989 Gut eine Woche später verließ General Boris Gromow als letzter Soldat des sowjetischen »begrenzten Truppenkontingents« Afghanistan über die »Brücke der Freundschaft« in Richtung Usbekistan.

Die zehn Jahre in Afghanistan kosteten die sowjetischen Streitkräfte 14 453 Tote, 49 983 Verletzte - davon 6669 Kriegsinvaliden - und 330 Vermißte, resümiert General Mahmut Garejew Nicht viele, findet er, und führt zum Vergleich an, daß sich allein 1993 in Rußland 29 000 Menschen mit Alkohol vergifteten. Viele der sowjetischen Opfer hätten vermieden werden können, schreibt er in seinem Afghanistan-Buch, wenn man gleich »viel mehr Kräfte« in das Land geschickt hätte und schnell wieder abgezogen wäre.

Das sowjetische Militärengagement in Afghanistan endete jedoch 1989 nicht. Die Führung unter Michail Gorbatschow versuchte noch, den Bündnisverpflichtungen gegenüber der Regierung Präsident Najibullahs nachzukommen, und“ entsandte eine operative Gruppe von rund 30 Militärberatern, geleitet von Mahmut Garejew Gleichzeitig erhielt Afghanistan 1989 Militärhilfe im Wert von vier Milliarden Rubel, 1990 folgte eine weitere Milliarde. Der Einsatz des etwa 100 000 Mann starken Truppenkontingents hatte 7,5 Milliarden Rubel pro Jahr gekostet.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion ließ die neue russische Führung Najib fallen. Der damalige Außenminister Andrej Kosyrew erklärte im August 1991: »In Afghanistan ist alles zur Regelung bereit. Nur die sowjetische Unterstützung der Extremisten mit Najibullah an der Spitze stört.« Vizepräsident Alexander Ruzkoi,

als Pilot in Afghanistan abgeschossen, gefangengenommen und ausgetauscht, versprach im Frühjahr 1992 einer afghanischen Mudshahedin-Delegation, alle Waffen- und Treibstofflieferungen an Kabul einzustellen. Moskau verzichtete auch darauf, die USA zu gleichem Handeln zu drängen, wie es die Genfer Abkommen von April 1988 vorsahen. Schließlich beugte man sich sogar der USA-Forderung, der von Najibullah geführten Vaterlandspartei - vormals Demokratische Volkspartei Afghanistans - künftig kei-

»islamischen Gefahr aus Afghanistan« bemäntelte Angst vor der eigenen Opposition nutzte Rußland, um dort als militärische Schutzmacht präsent zu bleiben.

Zudem entstand eine Achse Moskau -Xeheran: In beiden Hauptstädten sah man die Hand Washingtons hinter dem Siegeszug der Taleban. Mit Recht. Allerdings agierten da nicht so sehr das Weiße Haus oder die CIA, sondern der Ölmulti UNOCAL. Daß eine Trans-Afghanistan-Pipeline die ehemalige Supermacht Rußland auch im Erdöl- und Erdgassektor schwächen würde, paßte immerhin auch Washingtoner Strategen in den Kram. Eine Öllobby hat indes in Moskau ebenfalls die Hand im Spiel, verquickt mit Teilen des Militärs und der Mafia, die Waffen an alle afghanischen Konfliktparteien verkaufen.

Nach der Logik des Kalten Krieges unterstützen Rußland und Iran seither die Anti-Taleban-Allianz. Dabei führte ein historischer Looping zu einem Interessen-

bündnis ehemaliger Todfeinde: Rußlands und des Mudshahedin-Kommandeurs Ahmad Schah Masud. Erreichen die Taleban ihr Ziel, ganz Afghanistan zu kontrollieren, würde das nur russische Bemühungen anfachen, Masud zum Weiterkämpfen zu bewegen. Als es im Sommer 1998 für ihn schon einmal auf des Messers Schneide stand, stellten ihm die russischen Truppen im benachbarten Tadshikistan den von ihnen kontrollierten Flughafen Kuljab für iranische Waffenlieferungen zur Verfügung. Mit Kuljab im Rücken könnte Masud auch einen Guerillakrieg gegen die Taleban organisieren. Die Allianz hat Zukunft.

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