Unterwegs nach Afrika mit und ohne Ticket
| Bildung Ein Fürstenwalder Gymnasium öffnet sich dem »schwarzen« Kontinent Von Adina Hammoud
Seit 1992 organisieren zwei ostdeutsche Nord-Süd-Initiativen den Jugendaustausqh zwischen Brandenburg und Sansibar.
Begegnung Sansibar-Brandenburg
Foto: Adina Hammoud; ND-Karten: Wolfgang Wegener
Tsche tsche kule, tsche tsche kofinsa...« - das »Lied der bunten Vögel« bringt Lehrer- wie Schülerbeine in schöner Einmütigkeit in Bewegung. Afrika total war angesagt am ersten Montag im Mai: Das Lied aus Ghana, die Musiker aus Senegal und der Anlaß hatten mit Tansania zu tun: Einen guten Monat lang haben Schüler- und Lehrerschaft des Geschwister-Scholl-Gymnasiums und Fürstenwalder Bürger die Möglichkeit, über die Grenzen des eigenen Kontinents hinweg einen Blick nach Ostafrika zu werfen - auf die zu Tansania gehörende Insel Sansibar Ermöglicht wird das durch die Fotoausstellung »Sansibar ins Gesicht geschaut«, erarbeitet und betreut von den Regionale^ Arbeitsstellen für,Ausländertfagen!,' Jugendarbeit und Schule;. (RAA). und der Gesellschaft für solidarische Entwicklungszusammenarbeit (GSE).
Das Fürstenwalder Gymnasium ist ein Ort, an den die Organisatorinnen die Bilder besonders gern brachten: Bedeutet doch dort die Beschäftigung mit dem afrikanischen Kontinent nicht nur, daß man sich gerne kurz vor den Sommerferien ein bißchen Exotik in die Schule holt. Afrika ist dort eine feste Größe im Schulalltag geworden - so fest, daß es nach einigen Schülerinnen nun auch zwei Lehrer in die Ferne zieht.
Nur noch wenige Wochen trennen Sigrid Hoffmann und Matthias Niehle vom Einchecken zum langen Flug auf die Insel, wo nicht nur der Pfeffer wächst. Vielleicht werden sie auch auf dem tansanischen
Festland im Jeep einen der Nationalparks durchqueren. Kann sein, daß sie den Kilimandjaro bezwingen oder das eine oder andere Bad im Indischen Ozean nehmen. Vor das touristische Programm haben sie und die anderen Lehrer, die mit ihnen reisen, aber etwas ganz anderes gesetzt: Teil zwei des Lehreraustauschprogramms »Miteinander lernen - gemeinsam unterrrichten«. Sie haben sich überlegt, wie sie, die deutschen Lehrer, einer Klasse in der Dorfschule von Bambi oder Fukuchani soviel vom Alltag hierzulande vermitteln werden, daß die auch dort vorhandenen Klischeebilder vom jeweils anderen zumindest in Frage gestellt werden. Sie werden feststellen, ob und wie weit sich die hier inzwischen gängigen Methoden des Projektunterrichts dort anwenden lassen, und wie es sich unterrichtet, wenn 40 bis 60 erwartungsvolle Jugendliche vor ihnen sitzen, die vielleicht nur etwas mehr Englisch verstehen
und sprechen als die Deutschen die Landessprache Swahili.
Spannung ist also angesagt; und Kollegen wie Schüler des Gymnasiums dürfen sich auf das neue Schuljahr freuen, wenn die Berichte aus Sansibar den Unterricht in Fürstenwalde bereichern, wenn sie erfahren, wie es dem Lehrer Haji aus Bambi geht, der im Frühling des vergangenen Jahres zwei Wochen lang Mitglied des Lehrerkollegiums war. Und damit wären wir bei einer kleinen Rückschau angelangt, die den Ursachen des Reisefiebers der beiden Lehrer sowie dem Interesse der Schule am afrikanischen Kontinent nachspüren will.
Es war im Herbst 1995, als Kornelia Kilian, damals Schülerin am Scholl-Gymnasium, an einem entwicklungspolitischen Seminar von RAA und GSE teilnahm. Der Veranstaltung folgten weitere zu afrikanischer Literatur und zur Rolle des Islam in der Gesellschaft, zur Aus-
wirkung von Projekten der Entwicklungszusammenarbeit auf die Wirtschafts- und Sozialstruktur, zur Stärke der Frauen und zur Rolle der Sprache als Spiegel der sozialen Entwicklung. Im Sommer 1996 gehörte Kornelia zu den Jugendlichen, die im Fischerdorf Pwani Mchangani Seite an Seite mit den Frauen der Kooperative Tufikeriwe an einem Mehrzweckhaus für die Kooperative bauten und deren Alltag beim Kochen und der Seetangernte teilten.
Zurück in Fürstenwalde, hatte sie wie viele der Jugendlichen, die an Workcamps der RAA teilnahmen - mit Afrika nicht abgeschlossen. Nicht nur, daß es sie in den folgenden Jahren wieder dort hinzog. Sansibar, die ferne Insel im Indischen Ozean, zog ein in die Schule, kam in Fürstenwalde auch andernorts ins Gespräch: Im-Dom zum Beispiel wo die er- ? ste Fotoausstellung . der Jugendlichen übCT' : äie J *WorWmps*-199S 6 tind'1996 ge-“ zeigt und mit einem afrikanischen Fest eröffnet wurde. Immer wieder interessierten sich auch andere an der Schule für Afrika, bezogen den Kontinent in die Unterrichtsgestaltung ein.
Ein Höhepunkt war fraglos der Frühling 1998, als für zwei Wochen Haji Zyuma Ali, ein Dorfschullehrer aus Sansibar, den Alltag des Gymnasiums kennenlernte. Er war Gast im Hause von Matthias Niehle, der mit seiner ganzen Familie am vorbereitenden Swahili-Sprachkurs teilgenommen hatte. In diese Zeit fiel auch der große Afrika-Tag am Gymnasium, als sich nahezu die ganze Schule in Projektgruppen mit dem »schwarzen« Kontinent beschäftigte. Mehrere der Gruppen wurden von Schülerinnen und Schülern ge-
leitet - zum Beispiel von Jana Hoffmann, die im Sommer 1998 an einem Workcamp auf Sansibar teilnahm und auch in diesem Sommer wieder dort sein wird, diesmal im Rahmen eines internationalen Theaterprojektes, wo sie für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet. Unterstützt wurde der Afrika-Tag von Referenten der GSE und der RAA, die - sofern sie nicht wie der Ghanaer Kofi Asamoah selbst aus einem afrikanischen Land stammten - zumindest in einem der Workcamps ein Stück Lebenserfahrung auf Sansibar gesammelt hatten.
Nicht zuletzt die Resonanz dieses Projekttages war es, die zur Fotoausstellung und zur Reiselust der beiden Pädagogen und einer Reihe von Schülern führte. Die vielen Kontakte, das inzwischen geballte Interesse und die gemeinsamen Erfahrungen wollen die Beteiligten weiterhin zusammenführen, längerfristig die Kooperation zwischen dieser Schule und entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen pflegen. Es ist nicht nur der Anfang gemacht, die Beteiligten sind schon mittendrin: Westafrika im Französischunterricht soll ebenso eine Rolle spielen wie Tansania und Sansibar in Geografie oder Politischer Bildung; und daß sich die AG Darstellendes Spiel auch einmal mit Afrika beschäftigen wird, ist anzunehmen. Für die Mitarbeiterinnen der GSE und der RAA, die sich mit entwicklungsbezogener Bildungsarbeit in Brandenburg befassen, ist das Geschwi-. ster-Schojl^-Gymnasium ein schulischer Partn^'wie^rnäii'ihn sich kaum besser iwünscjjen-jcähri: Offen für Neues, engagiert, voller eigener Ideen und bereit, sie aus eigener Kraft umzusetzen.
Vormerken darf man sich bereits den 4. Juli 2000: Zu diesem Termin macht voraussichtlich das erwähnte internationale Theaterprojekt am Geschwister-Scholl-Gymnasium Station. Was immer sich die Jugendlichen aus Tansania, Deutschland, England, Dänemark und Slowenien unter der Anleitung ihres ugandischen Regisseurs einfallen lassen werden: Hier werden sie ein aufmerksames und kundiges Publikum finden.
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