- Politik
- Christian von Ditfurth: »Die Mauer steht am Rhein«
Grandioser Pappkamerad
Was wäre, wenn es anders herum gekommen wäre? Wie würde Deutschland heute aussehen, hätte sich die DDR 1990 nicht der Bundesrepublik angeschlossen, sondern sie vereinnahmt? Die Idee ist alles andere als neu, sie wurde zigfach zu Glossen, Kabarettnummern und satirischen Büchern verwurstet.
Nun ein weiterer, ein bierernster Versuch. Christian von Ditfurth, der unter anderem Bücher über die Blockflöten-CDU und über Erkundungen in der PDS schrieb, läßt in seinem jüngsten Band »Die Mauer steht am Rhein« die Weltgeschichte im Jahre 1988 vom tatsächlichen Weg abweichen. Gorbatschow wird von beinharten Stalinisten gestürzt, die nichts Eiligeres zu tun haben, als die NATO in einen gewaltigen Rüstungswettlauf zu verwickeln, der nur eine Finte darstellt: Er soll den Westen weichklopfen für einen weltumspannenden Deal, bei dem die Bundesrepublik ans sowjetische Einflußgebiet abgetreten wird, während Moskau sich beispielsweise aus Kuba zurückzieht. Die Erde wird aufgeteilt, was für die Deutschen die staatliche Einheit zur Folge hat. Allerdings unter anderen Vorzeichen als den seit neun Jahren erlebten. Deutschland wird vom Osten her zwangsvereinigt, und da die Allierten einträchtig mitspielen, bleibt der Bundesrepublik keine andere Wahl, als sich von Honecker die Bedingungen diktieren zu lassen. Das alles beschreibt Ditfurths Ich-Erzähler, ein eigentlich unpolitischer Sportredakteur einer westdeutschen Provinzzeitung, aus dem Schweizer Exil, womit schon mal eines klargestellt ist: Er gehört weder zu den beschränkten, furchtsamen Anpassern
noch zu den korrupten, machtgeilen Kollaborateuren, von denen es im Buch nur so wimmelt. Zwar gestattet sich der Held zu Beginn ein paar kleine Unsicherheiten bei der Beurteilung der weltpolitischen Lage - eine menschlich durchaus verständliche Schwäche -, doch dann erkennt er klar das immer mächtiger anschwellende SED-Unrecht im fremd gewordenen Vaterland und verschwindet; immerhin mit Hilfe des DKP-gestählten Bruders.
Was Ditfurths fiktive Dokumentation abgesehen von ermüdenden politischen und historischen Exkursen - interessant macht, ist der Umgang mit real existierenden Persönlichkeiten. Diverse Politiker
und Wirtschaftsmanager aus Ost und West gehören zu Ditfurths Personal, und er springt nicht gerade pfleglich mit ihnen um. Karsten Voigt wird beispielsweise westlicher Vorreiter der Vereinigung von SED und SPD und darf zur Belohnung den Ministerpräsident der gesamtdeutschen Demokratischen Republik Deutschland spielen. »Bild«-Kolumnist Peter Boenisch wird ZK-Sekretär für Agitation. Andererseits werden führende Grünen-Politiker und vereinigungsunwillige Gewerkschafter in Schauprozessen abgeurteilt. Währenddessen strampelt sich in der Schweiz eine ebenso kleine wie zerstrittene Exilopposition ab. Es scheint, als lege es der
Autor geradezu aufdringlich auf ein paar skandalträchtige Unterlassungs- und Beleidigungsklagen an.
Der Handlung wohnt eine strenge Logik inne, derzufolge die blühende Bundesrepublik in kürzester Zeit von den Kommunisten heruntergewirtschaftet wird. Erst als die materiellen Lebensverhältnisse ernsthaft eingeschränkt werden - nicht etwa beim früher begonnenen Abbau der Demokratie - mucken die Westdeutschen auf. Immerhin hat sich Ditfurth bei diversen Archivstudien so ins SED-Funktionärskauderwelsch vertieft, daß in seinem Buch die Politbürodebatten unmerklich vom verbürgten zum fiktiven Geschehen hinübergleiten.
Nur selten, vor allem in den ersten Kapiteln, blitzen ein paar satirische Anklänge auf; zum Schluß hin fehlen sie völlig. Statt dessen verschwinden unbotmä-ßige Zeitgenossen, von Lagern ist die Rede, und überhaupt werden die finsteren Schatten des Generalissimus wiederbelebt, daß Gerhard Löwenthal seine Freude hätte. Um das Grauen ins schier Unerträgliche zu steigern, versucht Ditfurth, Hermann Kants Roman »Die Aula« einen zweiten Teil hinzuzudichten, der natürlich »Die Einheit« heißen muß und natürlich eine durchsichtige Lobhudelei auf den gesamtdeutschen Sozialismus wird. Am Ende herrscht wieder Unfrieden in der Welt, weil das Rote Imperium seine Hand nach der ganzen Erde ausstreckt. Aber zum Glück bleibt einer ja wachsam - Ditfurths unbeugsamer Ich-Erzähler, der sich vom grandios zurechtgebastelten sozialistischen Pappkameraden nicht unterkriegen läßt.
Zum Schluß ein Serviervorschlag: Das Buch sollte an einem Winterabend in einem unbeheizteri Raum bei Kerzenschein (als Mahnung an sozialistische Stromausfälle) von einem kleinen, rundlichen, sächselnden Mann mit Walter-Ulbricht-Bärtchen vorgelesen werden. Dazu reiche man einen Humpen gepanschten Krimsekts. Nur so kann das Werk sein aufklärerisches Bukett voll entfalten.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.