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  • Politik
  • Geraer MAK präsentiert aktuelles Kunsthandwerk aus Thüringen

Experimente im Raum

  • Uschi Lenk
  • Lesedauer: 4 Min.

Spiel-Raum - Raum-Spiel: Arbeiten von Susanne und Ulrich Precht

Foto: Heidrun Reimitz

Ausstellungen für Europas 99er Kulturstadt gibt es viele, in Weimar selbst wie im Umkreis. Es gibt umstrittene wie hoch gelobte, mit Werken von Künstlern aus aller Herren Länder oder solchen der »Thüringer Art« - unter diesem Titel wird vom 15. August bis zum 19 September eine Ausstellung von Malerei, Grafik und Objekt- und Videokunst in Weimar gezeigt. Die tragende Säule der Thüringer Kunst jedoch, das Kunsthandwerk - immerhin ist die Hälfte aller im Freistaat beheimateten bildenden Künstler in diesem Metier tätig - blieb bisher ausgespart. Diese Lücke hat nun das Geraer Museum für Angewandte Kunst (MAK) geschlossen. Es präsentiert gegenwärtig mit »Spiel - Raum - Kunst« die einzige offizielle Weimar '99-Exposition dieser Art.

Trotz der langen Tradition des Kunsthandwerks in Thüringen - eine retrospektive, einzig Erwartetes präsentierende Nabelschau ist diese Ausstellung nicht. Vielmehr spürt sie aktuellen Tendenzen nach, zeigt, wie es heute im »Ländle« um dieses Genre bestellt ist. Macht deutlich, wie Künstler sich mit Überliefertem auseinander setzen, es kreativ nutzen und dabei immer handwerkliches Können mit sicherem Gefühl für das Material und der Freude am Experimentieren verbinden.

Solche Effekte erreiche man jedoch weder über Ausschreibungen, noch über Wettbewerbe oder Empfehlung von Verbänden, meint der Direktor des MAK, Hans-Peter Jakobson. Deshalb seien die an der Schau beteiligten Künstler sehr subjektiv unter dem Aspekt der Experimentierfreudigkeit ausgewählt und eingeladen worden. Das hatte ein territoria-

les Ungleichgewicht zur Folge, sind doch die Vertreter Mittelthüringens in der Überzahl. Gänzlich ausgeschlossen sind die im Land eigentlich stark präsenten Holzgestalter. In dieser Sparte habe man »nicht so Interessantes, Zukunftsweisendes gefunden« wie in den anderen, begründet Jakobson die Entscheidung.

Mit den 15 Auserwählten gemeinsam wurde die Ausstellung vor Ort im Museum konzipiert und wurden auch die Räume entsprechend zugeordnet. Das Ergebnis

kann sich sehen lassen als eine in sich geschlossene Schau, in der Textiles und Schmuck, Glas und Emailschilder, Keramik und Porzellan untereinander sowie mit den Räumen korrespondieren. Denn: »Spiel - Raum - Kunst« wird durchaus so mehrdeutig verstanden, wie es beabsichtigt war. Zum einen macht die Exposition dem Besucher jene Spielräume sichtbar, die sich die Kunsthandwerker selbst beim Erkunden des Materials erschlossen haben. Zum anderen haben sie die Möglichkeit, mit den Räumen des Museums zu »spielen«. Herausragendes Beispiel dafür liefern Susanne und Ulrich Precht. Der Dynastie der Lauschaer Glasgestalter zugehörig und in deren Jahrhunderte langer Tradition, stehen ihre Arbeiten in beeindruckender Weise für innovative Experimente. Aus Studioglas blies Susanne

Precht ihre zwischen Stahlstäben hängenden, etwa 40 Zentimeter großen »Kokons«. Ulrich Precht hingegen spielt mit Glas und Licht. Sein »Karneval« ist ein sandgegossenes, auf Metallstäben befestigtes Masken-Relief, in dem sich das Licht widerspiegelt. Die die dreieckige Grundfläche markierenden (Thüringer) Schieferstücke kehren bei der Installation wieder, die den Raum dominiert. Dort umgeben sie einen Kreis aus Sand, aus dessen Mitte eine gläserne Pyramide in den Raum ragt.

Handwerkliche Disziplin widerspiegeln die Werke des Erfurter Metallgestalters Johannes Kaiser. Sowohl die von ihm geschaffenen Gefäße als auch die nach im Internet üblichen Buchstaben-Kürzeln entstandenen Emailschilder korrespondieren mit dem aus Naturstein und Edelmetallen gefertigten Schmuck von Ute Wolff-Brinckmann (Erfurt). Keramik ganz unterschiedlicher Art steuern zwei in Berlin lebende Thüringer Künstler bei. Als Mosaik präsentiert sich die Oberfläche der farbenreichen Gefäße von Annette Wandrer, der Tochter der Thüringer »Altmeisterin« Uli Wittich-Großkurth. Gerd Wandrer stellt seine skurrilen Figuren dagegen.

Auch bereits ausgezeichnetes Design ist in der Ausstellung zu bewundern. Dazu zählt Gebrauchsporzellan der Form »Update« von Barbara Schmidt. Die Designerin der Kahla/Thüringen Porzellan GmbH zeigt aber auch freie Arbeiten. In schlichtem Weiß gehalten, stehen sie in starkem Kontrast zu den farbintensiven textilen Flächen von Ulrike Drasdo. Auch.Nora Grawitter wurde für ihre gestalterischen Ideen bereits geehrt - beim 3. Europäischen Designwettbewerb der Region Apolda. Sie schuf hauchzarte, weiße Gebilde aus Gaze und transparenter Stickerei und kombinierte das alles mit verschiedenen Drucktechniken zu »Körpern«. Die Textilgestalterin Ute Herre hingegen fertigte 20 einzelne »Bilder« aus transparentem weißen Stoff und arrangierte sie in einem Raum so, dass das Gesamtkunstwerk von allen Seiten begehbar ist.

Naturfarbenen Filz als bildhaftes Material, wie es früher in Thüringen oft anzu-

treffen war, entdeckte Sybille Suchy neu, etwa mit ihrem »Archetyp«. Wie man die Vorgaben der Raumarchitektur sinnbildlich nutzen kann, beweist der Keramiker Martin Neubert. Er bezog das in den Fußbodendielen vorhandene Kreuz in seine Gestaltung ein, auf das er seinen »Kopf des Rufens« setzte. Das Entree zur Ausstellung vereint noch einmal alle 15 Betei-

ligten. Für einen riesigen Setzkasten schuf ein jeder von ihnen ein Stück und trug auf diese Weise zu einem weiteren Kunstwerk bei.

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