- Politik
- Zum Tod der Schriftstellerin Lilo Hardel
Adieu, altes Mädchen
Vor fünfzehn Jahren, als Lilo siebzig wurde, gab der Kinderbuchverlag ein Büchlein heraus, von Kollegen und Kolleginnen gestaltet. Auch ich schrieb damals für und über sie.- Lilo, altes Mädchen, nannte ich meinen Beitrag. Irgendwie war sie immer wie ein Mädchen erschienen, mit ihrer schmalen Figur, der jungen Stimme und den anmutigen Gebärden. Wir begegneten uns zuletzt in der Runde von Schriftstellerinnen, die Elfriede Brüning regelmäßig zusammentrommelt, damit wir uns gegenseitig vorlesen, zuhören und ermutigen. Lilo kam, so oft es ihre schwache Gesundheit zuließ, sie sagte nie viel, aber was sie sagte, war von trockenem Witz und hatte Gewicht. Nun ist sie gestorben, 85-jährig, nach einsamen Jahren, in denen sie tapfer den zu frühen Tod ihres Partners Gerhard Hardel zu verwinden suchte. Töchter und Enkel waren an ihrer Seite, doch den Mann, mit dem sie gemeinsame Arbeit verbunden hatte, konnten sie ihr nicht ersetzen. Die Hardels waren Wegbereiter der DDR-Kinderliteratur. Sie wurden dafür mit dem Nationalpreis ausgezeichnet. Viele schöne Bücher haben sie geschrieben, eigenwillig, in ständiger Auseinandersetzung um lebensnahe Helden, die mancher Reinredner lieber in eherner Unnahbarkeit auf dem Sockel gesehen hätte, wenn es sich um historische Gestalten wie Marx und Jenny, Engels, Clara Zetkin oder die Krupskaja handelte. Die Hardels brachten
sie in warmherzigen biografischen Er^ Zählungen der Jugend menschlich nahe.
Lilo, so zart sie war, konnte sehr hartnäckig sein. Sie kam aus einer Berliner Arbeiterfamilie und hatte sich schon früh in der kommunistischen Jugendorganisation KJVD engagiert. Mit 19 Jahren ging sie in die Emigration, kehrte jedoch nach Deutschland zurück und kämpfte in der Illegalität gegen die Nazis. 1937 heiratete sie Gerhard Hardel, der Soldat werden musste, desertierte und sich ebenfalls dem antifaschistischen Widerstand anschloss. Beide haben von Jugend an das Lesen und Schreiben geliebt, aber erst nach dem Krieg wurde daraus ein Beruf. Lilo arbeitete beim Schulfunk, mit ihrem Mann zusammen schrieb sie Hörspiele, und in den fünfziger Jahren entstanden ihre »Max und Lottchen«- Bücher, die bei den Kindern großen Anklang fanden, weil sie die ernste Angelegenheit des Lernens von der heiteren Seite zeigten. Das setzte sich fort in der Geschichte »Otto und der Zauberer Faulebaul«, die im Jahr 2000 vom KinderBuchverlag neu aufgelegt wird, mit Illustrationen von Gertrud Zucker. In diesen Tagen erscheint »Die lustige Susanne«, eine Geschichte für das Erstlesealter, illustriert von Konrad Golz.
Lilo Hardel hat sich darauf gefreut, aber das Buch leider nicht mehr erleben können. Es ist gut zu wissen, dass sich in einer Zeit, die mit der DDR-Literatur geringschätzig umgeht, so manches unserer schönsten Kinderbücher in der kreischenden Buntheit der Comics behauptet und eine Autorin wie Lilo Hardel allen, die sie schätzten, unvergesslich bleibt.
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