Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

Der Wilde aus dem Burgenland

Mit dem Wert des »Uhudlers« steigt die Stimmung unter den »Gelbfüßlern« Österreich Von Andreas Tröscher, Wien

  • Lesedauer: 5 Min.

Dietmar Pumm: »Schau dir diese Rebe an, ist die nicht herrlich?« Foto: Tröscher

Er ist von der EU verboten, wird von der Konkurrenz mit wenig liebevollen Kosenamen bedacht und von manchen seit jeher als gefährlich eingestuft- der Uhudler. Dennoch dauert der Kampf um seine Legalisierung an.

Schau her«, ruft Dietmar Pumm begeistert, »schau dir diese Rebe an! Ist die nicht herrlich?« Wenn es herbstelt in der Gegend um Heiligenbrunn, in einem abgelegenen Winkel des ojinehin dürftig bevölkerten Südburgenlandes, steigt die Stimmung der Einheimischen um ein Vielfaches. Eine Hauptrolle spielt dabei auch Othello, allerdings nicht als Bühnenheld, sondern als Weinrebe. Im Fachjargon beschrieben, ist Othello das Produkt einer Kreuzung der Clinton-Traube mit Pollen von Black Hamburg. Die Rebe trägt große Trauben mit dünnschaligen Beeren. Gemeinsam mit den verwandten Sorten Delaware, Concord, Isabella, Noah, Elvira, Ripadella und einigen anderen (insgesamt über 30) gehört sie zur Gattung des »Direktträgerweins«, und den nennt der Volksmund »Uhudler«.

Darum ranken sich Gerüchte, Geheimnisse und Sagen. Dietmar Pumm kennt sie alle. Auf einem Hang abseits des kleinen Heiligenbrunn bewirtschaftet er einige Hektar Wein. Spricht man den sonst friedfertigen, gut gelaunten Naturliebha-

ber auf die vielen bösen Geschichten an, die sich noch bösere Menschen ausgedacht haben, um den Uhudler schlecht zu machen, wird er ungemütlich. »Ausgemachter Blödsinn! Von gefährlich kann keine Rede sein, ganz im Gegenteil: Koste mal, dann verstehst du mich.« Spricht's und füllt den sorgfältig mit Mineralwasser neutralisierten, überdimensionalen Cognac-Schwenker mit rotem Uhudler. »Riech! Wahnsinn, gell?«

Mehr als ein fassungsloses Nicken wird er von jemandem, der nie zuvor an solchem Saft genippt hat, nicht ernten. Erdbeeren. Wie ein Korb voller Erdbeeren riecht der Uhudler, zumindest der Rote. »Geh mal kurz vor der Weinlese durch die Weinstöcke. Dort riecht es genauso«, schwärmt Pumm in freundlichem Befehlston. »Der Uhudler ist ein Extremwein. Entweder man mag ihn extrem gern oder man lehnt ihn extrem ab!« Menschen, die »extrem ablehnen«, ordnen dem ungewöhnlichen Getränk Bezeichnungen wie »Rabiatperle« oder »Blindmacher« zu. Die haben sich im Lauf der letzten 70 Jahre ebenso durchgesetzt wie »Uhudler«. Letzteres ist mittlerweile allerdings ein geschützter Markenname.

Vor allem ein gewisser Professor Fritz Zweigelt will schon 1929 nach dem Genuss von Direktträgerwein Zornexzesse bei Männern, Hysterie bei Frauen, Neigung zu Halluzinationen, geistige und körperliche Degenerationserscheinungen bei Kindern und ein allgemeines Dahinsiechen festgestellt haben. Der in der Na-

zizeit zum Direktor der Klosterneuburger Weinbauschule aufgestiegene Zweigelt sah im Uhudler eine Gefahr für »deutsche Tugenden« wie Arbeitsamkeit und Kinderreichtum. Seit damals fristet der Uhudler ein Schattendasein - geächtet von offizieller Seite, zugelassen nur für den Hausgebrauch, nicht jedoch für den Verkauf. Mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union wurde es nur noch schlimmer- Brüssel erließ für sämtliche Sorten Neuauspflanzverbote. Die teilweise Legalisierung, erst 1992 durchgesetzt, wurde 1995 wieder hinfällig, der Uhudler wurde zum »Nichtwein« deklariert.

Eine Hand voll südburgenländischer Weinbauern setzt jedoch ihren seit Jahrzehnten andauernden Widerstandskampf fort. Nicht ohne Folgen: Der Uhudler wurde zum Geheimtipp, zur Rarität, zum »Muss« für jeden Weinliebhaber. »Früher haben sie uns alle ausgelacht, haben Gelbfüßler zu uns gesagt, wegen des Lehmbodens hier in der Gegend. Dass gerade jetzt der Wert des Uhudlers enorm gestiegen ist, wo der Kampf am Markt immer härter wird und die Preise fallen, damit hat keiner gerechnet«, freut sich Dietmar Pumm.

Ist er nicht gerade mit der aufwendigen Herstellung des sehr sensiblen Weins beschäftigt, nimmt er sich Zeit, um Gästen sein Zuhause zu präsentieren. Viel Zeit. Ist man nach dem Besuch einiger Weinkeller noch dazu im Stande, Weingläser zu leeren und gleichzeitig aufmerksam zu lauschen, erfährt man einiges über die Ge-

schichte des Uhudlers. Zwischen 1860 und 1920 wurden Europas Weingegenden von der aus Amerika eingeschleppten Reblaus heimgesucht. Zwei Generationen von Weinbauern standen der Zerstörungswut des lästigen Eindringlings aus Übersee machtlos gegenüber. Erst in den späten 20er Jahren entwickelte man Theorien und Praktiken, um sich der Reblaus zu entledigen. Die »Sulfmisten« ertränkten ihre Weinstöcke in Schwefelkohlenstoff, was sich oft als vergebliche Liebesmüh erwies. Die »Amerikanisten« dagegen wussten von reblaus-restistenten

Reben aus Übersee, kreuzten sie mit heimischen Sorten, pfropften auf und machten dem Ungeziefer derart das Leben zur Hölle. Diese »veredelten« Sorten setzten sich bald durch. Nur wenige Winzer ließen die amerikanischen Stöcke so wachsen, wie sie waren, als »Direktträger« eben.

Nächster Weinkeller, nächstes .Glas. Zwischendurch ein Schmalzbrot oder mehrere (sehr wichtig!). Nächste Geschichte. »Woher der Name Uhudler stammt? Da gibt es mehrere Theorien«, doziert Weinexperte Pumm. In den 60er Jahren, als die Mobilität noch Grenzen hatte, nächtigten die Weinbauern oft in ihren Kellern, da der heimatliche Hof manchmal mehrere Kilometer entfernt lag. Da die Arbeit hart war, hatten viele der Bauern Ringe unter den Augen. »Da hat man dann gesagt: Du schaust aus wie ein Uhu.« Die Bezeichnung könne aber auch von den seltsamen Lauten stammen, die man nach übermäßigem Genuss von sich gibt. Egal. Der Name ist jedenfalls ein südburgenländisches Original und macht das Gebiet zum »Uhudlerland«.

Wie die Zukunft des speziellen Tropfens aussieht, weiß nicht einmal Pumm. »Er ist auf jeden Fall eine Chance für uns«, glaubt der rührige Werber für seine Heimat. Die Landschaft ist karg, die Arbeitslosigkeit ebenso hoch wie die Abwanderung. Gerade die Erhaltung der ursprünglichen Lebensformen, wie etwa die Kellergassen mit ihren typischen Strohdächern, kann dazu beitragen, dass das Uhudlerland nicht verödet. »Tourismus ja, aber nur in erträglichen Mengen«, weiß Pumm allerdings um die zerstörerische Wirkung einfallender Urlaubermassen. »Bei uns neidet keiner dem anderen etwas. Sobald der Uhudler in Massen produziert würde, wäre das wahrscheinlich vorbei«, schätzt er. Prohibition hat offenbar auch gute Seiten.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.