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  • Politik
  • Schauspielerin Marion van de Kamp über Besessenheit, Schweigegeld und Dankbarkeit

Wer zieht schon Konsequenzen?

  • Lesedauer: 9 Min.

1925 wurde Marion van de Kamp in Wuppertal geboren; sie spielte in Dresden, wo sie aufwuchs, erste Rollen. Weitere Engagements: Meiningen, Görlitz, Plauen, Schwerin, Leipzig. 1953 wurde sie Ansagerin und Mitglied des ersten Fernsehensembles. Spiel in zahlreichen DEFAund TV-Filmen (»Kabale und Liebe«, »For eyes only«, »Sachsens Glanz und Preu-ßens Gloria«, »Im Sog«, »Hubertusjagd«)

Foto: Helga Paris

MARION VAN DE KAMP, eine der bekanntesten Schauspielerinnen des deutschen Ostens, hat stets jener Theaterauffassung gedient, die aus einem Zusammenhang kommt und Zusammenhang stiftet. Folgerichtig, dass sie nach 35 Jahren Volksbühne seit 1991 am Berliner theater im palais arbeitet, als fester Gast und Mitgesellschaftenn - einer Bühne, der es just darum geht, mit Liebe (und Zeit!) ein gründliches, verlässliches Kunst- und Textgefühl zu leben. Ihr Spiel: verführerische, verfeinerte Strenge; ihr Charme kommt noch im Deftigen ganz aus Stil; Gesicht war ihr stets wichtiger und näher als Maske. Derzeit probt sie für die Berliner Posse »Einhunderttausend Thaler« von David Kaiisch, Regie: Barbara Abend, Premiere im Januar.

% Marion van de Kamp. Ihr Nachname klingt vornehm, sehr hochständisch.

Heißt aber nur »von dem Feld.« Die Familie kommt aus dem Niederländischen. Aber was heißt »nur«? In dem Namen steckt eine schöne Bodenständigkeit.

? Nicht die schlechteste Rückversicherung, wenn man auf Bretter geht, die angeblich die Welt bedeuten.

Zumal, wenn man wie ich schon in jungen Jahren fürs Fach der Salondame engagiert wurde.

? Mit welcher Gemütsverfassung üben Sie Ihren Beruf gegenwärtig aus?

Eine wichtige Übereinstimmung mit dem Publikum ist weg.

? Im Vergleich mit der DDR. Da lebte Theaterkunst nicht unwesentlich vom Andeuten des Unsagbaren.

Ja, und nun sind Zeiten, in denen alles gesagt werden kann. Die Verbindlichkeiten sind vage geworden.

? Zitat Marion van de Kamp: »Auch das Kritische wirkte staatserhaltend. Damit muss ich fertig werden.«

Dass die DDR zugrunde ging, dafür bin auch ich zuständig. Ich habe mitgemacht. Ich war nicht in innerer Emigration.

9 Ihr Mann, beim Rundfunk arbeitend, trat 1956 aus der SED aus.

Es ist nicht schlimm, sagte er zu mir, wenn sie uns jetzt rausschmeißen. Du kannst ganz gut putzen, ich kann gärtnern. Sie schmissen uns nicht raus.

? Ich nehme noch mal auf, was Sie sagten: Aus der Begegnung zwischen Schauspielern, Dichter und Zuschauern ist also nunmehr die Brisanz raus.

Das nimmt unserem Beruf einen Teil des Sinns, der Freude, der Wirkung, ja.

? Das sieht man Ihrem Spiel, Ihrer Arbeit aber nicht an.

Ich sprach ja auch nur von einem Teil. ? Anderes schafft den Ausgleich?

Sicherlich. Konzentration auf Grundthemen von Dichtern, ohne vordergründige Aktualität. Ruhiges Atmen in der Sprache. Der Dichter sozusagen als Prinzipal, als Maßstab eben.

? Richtig schön altmodisch sein!

Man staunt, wie gegenwärtig man damit sein kann - wenn man den richtigen Stoff hat. Plötzlich bekommt man doch wieder das Gefühl: Da drückt mir eine Geschichte so auf die Seele - wenn ich die nicht erzähle, ersticke ich daran.

? Sie gehen demnach mit durchaus guter Gemütsverfassung auf die Bühne im theater im palais.

Für mich sind das die großen Momente, wenn ich alle Selbstzweifel ausräumen kann, ganz zur Verfügung stehen kann für das, was Text und Situation erfordern. Viel verdanke ich da Barbara Abend, der künstlerischen Leiterin hier im theater im palais. Sie hat den Stil geprägt, den ich zu skizzieren versuchte, diese genaue, unaufgeregte Erkundung von Texten.

? Was zog Sie überhaupt ans Theater? Es war eher Zuspruch durch andere. Ich

wußte nicht recht, was ich werden sollte. Ärztin? Was mit Sprachen? Ja, vielleicht Schauspielerin. Aber ich war nie eine ehrgeizig von mir selber Getriebene.

? Funktioniert denn der Beruf ohne Besessenheit?

Das ist was anderes. Besessenheit habe ich. Aber die bezog sich immer auf die jeweilige Arbeit, nicht auf die Planung einer Karriere, die unbedingt steil zu sein hatte.

? Nach dem Krieg waren Sie auf der

Schauspielschule in Dresden. Eigentlich erstaunlich, wie schnell man damals an die Organisierung von Theater dachte.

Unbegreiflich - und wunderbar! Theater muss sein, sagten die Russen. Die Stadt roch noch nach Leichen. Das Vorsprechen nahm kein Ende. Das war Flucht vieler in die bessere Lebensmittelkarte und Flucht vor der härtesten Arbeit, der Enttrümmerung.

? Aber so ganz ohne ist Theaterarbeit damals doch auch nicht gewesen.

Stimmt. Als ich später in Meiningen spielte, war nach zwölf Tagen Probe Premiere, in einem Jahr musste ich zehn Rollen bewältigen. Nachts stellte ich die Füße in kaltes Wasser, um beim Lernen nicht einzuschlafen. Dazu viele Abstecher, in Bussen, die dauernd kaputt gingen. Im Winter saßen die Menschen mit Mütze im Saal, jeder Zuschauer musste ein Brikett mitbringen, damit das Theater notdürftig geheizt werden konnte.

? Marion van de Kamp, Sie sprachen vorhin vom Dichter und verwendeten, sinnbildlich, das Wort »Prinzipal«. Das ist gerade am Theater das Synonym für einen Intendanten, der konsequenter Leiter wie auch fürsorgender Vater ist. Solche Leute sind passe.

Ich habe sie noch kennengelernt: Fritz Wisten, Wolfgang Heinz. Das waren Künstler, die für ihre Schauspieler da wa-

ren. Für den Spielplan war ein wichtiges Kriterium, wie man Schauspieler weiter entwickeln kann.

? Heute gelten andere Kriterien.

Ich bin froh, dass ich in dieser Art Kulturbetrieb nicht mehr arbeiten muss. Natürlich will ich die Leute auch unterhalten, aber für Events bin ich nicht geeignet.

? Sie haben im Verlaufe vieler Jahre nicht das Theater gewechselt, waren sehr lange an der Volksbühne, zum Schluss sogar Mit-Intendant.

Marianne Wünscher hat immer gesagt: Wir müssen nicht das Theater wechseln, wir wechseln ja häufig genug die Intendanten.

? Immerhin: Einer hieß Benno Besson.

Ich habe wenig bei ihm gearbeitet, aber viel gelernt. Letztlich hat er mich im Salonwagen auf eine Nebengleis gestellt. Das habe ich mir zwei, drei Jahre angeschaut, dann machte ich Solo-Programme im Theater im 3. Stock der Volksbühne.

? Anarbeiten gegen Abhängigkeit?

Ich konnte mir mein Monatsgehalt nicht mit dem Wissen abholen, dass es im Grunde nur Schweigegeld ist. Das empfand ich als erniedrigend.

? Nochmals ein Zitat: »Ein Schauspieler ist Geschmackssache.«

Entsetzlich. Es gibt keinen festen Maßstab für seine Wirkung. Jeden Abend steht er neu auf dem Prüfstand. Schon allein die Zusammensetzung des Publikums kann über Sturz oder Triumph einer Vorstellung entscheiden. Nichts ist voraussehbar.

? Eine psychologische Folter?

Es kann dazu ausarten. Ich habe Verständnis für Kolleginnen, die diese Last nicht aushielten und wirklich die Konsequenz zogen.

? Zum Beispiel?

Annegret Golding. Sie war an der Volksbühne, am Maxim Gorki Theater, spielte bei der DEFA und in Adlershof. Mit 36 hat sie ein Medizinstudium aufgenommen, wurde Ärztin.

? Noch mal zur Volksbühne: Am Ende der DDR, beim Übergang in den Westen, war das Theater ein unbeweglicher Tanker. Intendant Fritz Rodel trat zurück, und Sie wurden als Nachfolgerin ins Gespräch gebracht. Die Volksbühne war ja überhaupt ein Haus der ganz starken Frauen.

Ich war Vertrauensfrau, und es fand damals die erste demokratische Leitungswahl statt. Aber ich habe eine ganz gute Einsicht in meine Fähigkeiten, und außerdem war ich nicht eitel genug, das Angebot mit dem Intendantenposten anzunehmen. Ich bin höchstens ein guter organisatorischer »zweiter Mann«.

? Winfried Wagner wurde Intendant, Sie und die Regisseurin und Dramaturgin Annegret Hahn standen ihm zur Seite.

Ein gleichberechtigtes Triumvirat. Wir machten das für ein Jahr, bis Frank Castorfkam.

? Sich mit betriebsbedingten Kündigun-

gen auseinanderzusetzen - war dies das Schlimmste?

Es tut noch heute weh. Daran sind auch Freundschaften zerbrochen.

? Mit Castorf wäre eine schauspielerische Weiterarbeit nicht gegangen?

Erstmal: Er war die Rettung fürs Theater! Wir waren glücklich, dass er kam. Seine Inszenierungen haben einen merkwürdigen Sog; ich finde hochinteressant, was er macht, auch dann noch, wenn ich es nicht verstehe.

? Noch keine Antwort auf meine Frage.

Ich glaube, wir kamen uns in der Entscheidung, dass wir nicht miteinander können, friedlich und freundlich auf halbem Wege entgegen. Ich kann den Flicflac im Kopf machen, nicht auf der Bühne.

? Am 30. Dezember 1991 hatten Sie Ihre letzte Volksbühnen-Vorstellung, im »Eingebildeten Kranken«.

Und 14 Tage später rief Dr. Siegfried Wein an, Intendant im theater im palais, und fragte, ob ich nicht in dieses Theater mit einsteigen wolle.

9 Ein literarisches Kammertheater, in seiner Art einmalig in Berlin.

Aber doch eine gewaltige Umstellung. Nach ein paar Wochen wollte ich wieder raus. Am landläufigen Theater haben Sie Ihre Rolle und fertig. Die Bühne ist groß. Jetzt plötzlich war alles so nah, so direkt, so unausweichlich. Die Präsenz war mit einem Male eine ganz andere. Bei unserer Art literarischem Theater werden Rollen auf besondere Weise zitiert, man spielt nie ganz aus. Wenige Schauspieler, alle müssen geradezu gleich atmen.

? Längst sind Sie eine Stütze des Ensembles.

Ich bin glücklich hier. Das erste Mal erlebe ich, trotz aller Auseinandersetzungen, ein homogenes Ensemble. Es ist die Insel, auf der ich leben kann.

? Mit dem alten Anspruch, dass Theater eine Botschaft haben müsse?

Theater verändert nichts. Es gibt Momente, da blüht etwas auf. Eine andere Wahrnehmung von Welt. Um allerdings an größere Wirkungen zu glauben, bin ich zu sehr Realist.

? Bedeutet Ihnen Demut etwas?

Ja. Nichts ist selbstverständlich im Leben. Aber ich rede lieber von Dankbarkeit.

? Was stört Sie am Begriff Demut?

Wirklich demütig zu sein, würde beim ehrlichen Blick auf diese Welt die Erkenntnis bedeuten, dass es einem ungerechterweise gut geht. Und dann musste man Krankenschwester in Afrika oder anderen Elendsorten werden, dort, wo man Menschen wirklich helfen kann.

? Das große Weh bleibt eine Attitüde, so lange man keine Konsequenzen zieht.

Deshalb bin ich vorsichtig mit öffentlichem Weltschmerz. Ja, interessant sind wirklich immer nur die Konsequenzen.

? Wofür sind Sie dankbar im Leben?

Dass ich gesund geblieben bin. Dass ich noch Texte behalten kann. Dass man mich noch auf eine Bühne lässt. Dass ich Menschen eine Freude machen kann.

? Störte Sie je die Vergänglichkeit Ihrer Arbeit?

Ach was, ist doch beruhigend, dass ich meine Zukunft hinter mir habe.

Interview Hans-Dieter Schutt

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