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Im Schnellverfahren verknackt
Für ehemaligen DSSV-Generalsekretär und zwei Schwimm-Verbandstrainer wegen »Beihilfe zur Körperverletzung« ein Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung
Von Jürgen Holz
Geradezu im Schnellverfahren wurden am Mittwoch im Doping-Prozess vor der 22. Großen Strafkammer des Berliner Landgerichts drei Vertreter des ehemaligen DDR-Schwimmverbandes verurteilt. Wegen »Beihilfe zur Körperverletzung« wurden der langjährige DSSV-Generalsekretär Egon Müller, der frühere Chef-Verbandstrainer Wolfgang Richter und der Frauen-Verbandstrainer Jürgen Tanneberger jeweils zu einer einjährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Außerdem müssen alle drei eine Geldbuße von 5000 Mark zahlen.
In dem nur dreistündigen Verfahren wurden dem heute 73-jährigen Müller 67 Fälle, dem 62-jährigen Richter, der nach der Wende eine bis zu den Olympischen Spielen 2000 in Sydney datierte Anstellung beim Katalanischen Schwimm-Verband in Barcelona gefunden hat, 62 Fälle und dem 56-jährigen Tanneberger, jetzt Sportkoordinator in einem renommierten Schwimmklub in Düsseldorf, 47 Fälle angelastet. Alle drei räumten »unter den gegebenen Umständen« die Anklage ein. Tanneberger entschuldigte sich bei den Schwimmerinnen.
Die Anklageschrift führte insgesamt rund 70 minderjährige Schwimmerinnen aus den damaligen Klubs in Berlin, Dresden, Magdeburg, Erfurt, Potsdam, Karl-Marx-Stadt, Halle, Leipzig und Rostock auf. Darunter waren als Prominenteste die Berliner Dynamo-Schwimmerinnen Andrea Pollack, Christiane Knacke, Carola Nitschke und Birgit Meineke sowie die Dresdnerin Rica Reinisch. 17 Aktive hatten Strafantrag wegen »Körperverlet-
zung« im Zusammenhang mit der Vergabe von »unterstützenden Mitteln« gestellt.
Der Vorsitzende Richter Peter Faust verwies auf die komplizierte Rechtssituation angesichts des bundesdeutschen und des DDR-Strafrechts. Die Angeklagten seien Teil des DDR-Sportsystems gewesen und hätten bei der Umsetzung der Konzeption »unterstützender Mittel« nur »eher organisatorisch mitgewirkt«. Dennoch sei durch sie »in massiver Weise in die Gesundheit der Schwimmerinnen eingegriffen worden«, was man nicht anders als »kriminell« bezeichnen könne.
Zuvor hatte der Staatsanwalt in seiner Anklageerhebung dargelegt, dass »jeder im Wissen um Wirkung und Nebenwirkung von Anabolika handelte und die Vergabe umfassend absicherte«. Dabei seien sie von 1975 bis 1989 an der systematischen Vergabe von Doping-Präparaten beteiligt gewesen. Er warf den Angeklagten »vorsätzliche und gemeinschaftliche Beihilfe zur Körperverletzung« vor.
Rechtsanwalt Dr. Dieter Bolz aus Erfurt als Verteidiger von Jürgen Tanneberger verwies allerdings mit Nachdruck darauf: »Hier sitzt das DDR-Sportsystem auf der Anklagebank. Es ist aber nötig zu fragen: Wo liegt die individuelle Schuld der Angeklagten?« Auch sei ein »Bruch in der Betrachtungsweise der Vorgänge« nicht zu leugnen. »Aus heutigen Erkenntnissen stellt sich vieles ganz anders dar, als die damaligen Erkenntnisse waren.« All dies komme in dem Verfahren zu kurz, wie überhaupt die juristische Aufarbeitung des Doping-Problems nicht möglich sei.
Eine unrühmliche Rolle spielte einmal mehr der Vertreter der Nebenklage: der Heidelberger Rechtsanwalt Dr. Michael Lehner, der schon vor einem Jahr im Doping-Pilotprozess gegen Schwimmtrainer
und Arzte des SC Dynamo Berlin übereifrig war. Lehner, der gegenwärtig auch den zweimal Doping positiv getesteten »Saubermann« Dieter Baumann vertritt und mit allen juristischen Mitteln um dessen Unschuld kämpft, blitzte beim Richter mit einem Beweisantrag ab, womit eine »verdeckte Doping-Vergabe auch in Getränken« nachgewiesen werden sollte. Diese »heimliche Vergabe« sei den Angeklagten weder nachzuweisen noch anzulasten, begründete der Richter die Ablehnung.
Lehners Antrag, juristisch die »heimliche Vergabe von Dopingmitteln« über Oral-Turinabol und Testosteron-Spritzen hinaus als einen Tatbestand festzuschreiben, entbehrt insofern nicht einer gewissen Brisanz, als der Anwalt im Doping-Fall Baumann alles daran setzt, den Olympiasieger durch den Nachweis einer »heimlichen Vergabe« und eben einer Fremdeinwirkung rein zu waschen.
Im Übrigen, so erklärte Lehner hinterher vor Journalisten, finde er es beklagenswert, dass die »Berliner Staatsanwaltschaft keinen Stufenplan gehabt hat, um die des DDR-Staatsdopings Angeklagten abgestufter zu verurteilen: vom Trainer über den Arzt bis zum Funktionär unterschiedlichen Ranges.« Aber er sei dennoch zufrieden, dass nunmehr »der DDR-Sport durch die Doping-Aufarbeitung vor Gericht eine andere Fassung im Geschichtsbuch erfährt«.
Was den »Fall Baumann« anbelangt, so erklärte Lehner, werde er »alle zivilrechtlichen Schritte einleiten, wenn sich der Deutsche Leichtathletik-Verband außerhalb der Rechtsstaatlichkeit begibt und Indizien der Unschuld Baumanns missachtet«. Offener kann der Ost-West-Bruch bei der Bewältigung des Doping-Konflikts wohl nicht zu Tage treten.
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