Zu wenig Ohren für psychische Probleme

In Sachsen-Anhalt mangelt es an Suchtberatern - Kommunen sind mit der Aufgabe überfordert

  • Lesedauer: 3 Min.
Wer in Sachsen-Anhalt und mit einem Drogenberater sprechen möchte, hat oft schlechte Karten. Die Wege sind weit und die Kreise haben den Rotstift angesetzt. Experten beklagen, dass deshalb ganze Regionen nicht versorgt sind.

Magdeburg (dpa/nd). Drogenberatung in Sachsen-Anhalt ist laut dem Psychiatrieausschuss völlig unzureichend. Zuständige Landkreise hätten in den vergangenen zwei Jahren Kapazitäten abgebaut, obwohl das Land konstant zweckgebundene Mittel gezahlt habe, sagte Ausschussvorsitzender Bernd Langer vor wenigen Tagen im Landtag. Statistisch kommt inzwischen ein Berater auf etwa 40 000 Einwohner, der Bundesschnitt liegt bei 1:18 000. Besonders gravierend ist die Situation laut Bericht im Landkreis Wittenberg mit einem Verhältnis von 1:90 000. Sozialminister Norbert Bischoff (SPD) kündigte an, dass das Land die Mittel für die Suchtberatung in Höhe von drei Millionen Euro ab 2013 wieder selbst verteilen will.

Die Suchtberatung ist eine kommunale Aufgabe. Das Land unterstützt die Kreise und kreisfreien Städte dabei. »Es hat sich herausgestellt, dass bei unveränderten Mitteln, die das Land ausgereicht hat, nicht an allen Stellen dieses Geld auch angekommen ist«, sagte Langer. Landtagspräsident Detlef Gürth sprach von der Sorge, dass Kommunen zur »Optimierung der Haushaltsstruktur« anderweitig zweckgebundene Gelder des Landes einsetzen. Das Land habe in dieser Sache keine Kontrollmöglichkeit.

An jedem Standort fehle ein Berater, sagte die Autorin des Landespsychiatrieberichts, Kerstin Reuter. Es gehe nicht um viele Menschen, sondern einen recht kleinen Bereich, der aber Großes leisten könne. »Es sind ganze Regionen im Grunde nicht versorgt.« Mehrere Berater je Stelle seien auch wichtig, weil verschiedene Süchte im Blickpunkt stehen und die Landkreise teils sehr groß seien, sagte Reuter weiter. Derzeit betreue ein Berater hierzulande 137 Klienten. Experten gingen aber davon aus, dass rund fünf Prozent der Bevölkerung alkoholkrank sind.

Im großen Landkreis Wittenberg mit etwa 180 000 Einwohnern beispielsweise gibt es nur eine Beratungsstelle. Die Beratungskapazität liegt in diesem Jahr laut dem Bericht bei nur noch 60 Wochenstunden. Das seien 20 weniger als im Vorjahr. Dem Bundesschnitt beim Verhältnis von Bevölkerung zu Berater am nächsten kommen Dessau-Roßlau, Magdeburg sowie Halle und der Saalekreis.

Ausschussvorsitzender Langer sagte, nach der Rückkehr zum alten System bestehe die Aufgabe, die Schäden der vergangenen zwei Jahre zu reparieren. Qualifizierte Berater seien aber kaum zurückzugewinnen. Langer wies darauf hin, dass Einsparungen bei der Suchtberatung für Alkoholkranke, Drogenkranke, aber auch Spielsüchtige und andere automatisch höhere Kosten in anderen Bereichen mit sich bringen; etwa in den Krankenhäusern. Die Chancen, Betroffene wieder in die Erwerbstätigkeit zu bringen, würden sinken - und damit auch Sozialausgaben steigen.

Jährlicher Bericht

Der Psychiatrieausschuss in Sachsen-Anhalt wurde 1993 gegründet und legt jedes Jahr einen Bericht vor. Er setzt sich aus mehreren Dutzend Fachleuten zusammen, die regelmäßig die Qualität der Betreuung psychisch Kranker überprüfen. Im Ausschuss wirken Ärzte, Richter, Heimleiter und Landtagsabgeordnete. Ihren Bericht an legen sie einmal im Jahr vor. Vorsitzender ist derzeit der Chefarzt des Psychiatrischen Krankenhauses Halle, Bernd Langer. Unter seiner Leitung besuchen die Experten Kliniken, Wohnheime, Tagesstätten, den Maßregelvollzug und andere Einrichtungen für psychisch Kranke. (dpa/nd)

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