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Die schöne Ordnung

Deutsche Guggenheim in Berlin: Arbeiten von Gabriel Orozco

  • Anita Wünschmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Gabriel Orozco sucht nach Spuren der Gegenwart und sortiert die Welt neu, und zwar nach Größe oder Farbe, nach Material und Fundort, nach Art, Gruppe, Klasse. Für die Ausstellung, eine der 18 Auftragswerke der New Yorker Guggenheim-Stiftung, ging der Konzeptkünstler auf Pirsch und brachte vom Strand eines mexikanischen Biosphärenreservats ebenso wie mitten aus New Yorks seine Funde mit.

Diese sind in Berlin zu einer Installation aus Bodenskulptur, »Wunderkammervitrine« und zweimal zwölf Fototafeln arrangiert. Er hat in der nur scheinbar unberührten Natur und auf dem »cleanen« Kunstrasen eines Fußballfeldes alles aufgelesen, was angeschwemmt oder fallengelassen wurde. Die Strandobjekte, denen mit Steinen und Muscheln zwecks Formenvergleich auch ein paar Naturdinge zugesellt wurden, waren dem Künstler allein schon ob ihrer Erosionsspuren interessant. Aus Massenprodukten, das ist fotografisch dokumentiert, werden durch die Mitarbeit von Wasser, Wind und Wetter Unikate.

Mit seinen Installationen ist der sympathische Fünfzigjährige zum Museums- und Kunstliebling der letzten zwanzig Jahre geworden. Sein renommiertestes Projekt, nein, ist nicht der eingelegte Hai (der ist von Damien Hirst), sondern ein aus seinem Skelett rekonstruierter und frei schwebender Wal. Die Knochen dafür fand der gebürtige Mexikaner an der Baja California, jenem mexikanischen Schutzreservat für Wale, an dem er auch diesmal fündig wurde und die Rückstände der Industriegesellschaften einsammelte.

Die Guggenheim-Ausstellung trägt den Titel »Asterisms«. Er soll an die kulturbedingt subjektiven Zuschreibungen kosmischer Bilder, an Sternenkonstellationen und ihre Deutbarkeit erinnern. Beziehungslinien zwischen den Punkten am Firmament lassen Bilder und Orientierungen zu, ganz wie bei Orozco, der unsichtbare Verbindungen durch seine Arrangements zwischen den Objekten herstellt und so vielfältige Assoziationen auslöst. Betrachtet man seine Sammlung, mag man auch an einen Schmetterlingsfänger denken, der sein Herbarium sorgfältig bestückt und die Mannigfaltigkeit der Natur in Reih und Glied zwingt, indem er seine Schätze optisch wirkungsvoll aufspießt.

Ordnung ist dem Menschen gemäß. Er räumt und sortiert, er katalogisiert und systematisiert und versteht so die Welt ein bisschen besser. Insofern ist Ordnung- schaffen ein aufklärerisches Tun, wenn nicht die Systeme selbst zur Schranke werden und Erkenntnisbemühen blockieren.

Diese Ordnung hier ist ein schönes Spiel mit Variablen, es gelingt ihm, die Betrachter zu überraschen, was viel bedeutet nach Jahrzehnten Erfahrung mit Trash und Readymade. Vielleicht ist es hier die Aufmerksamkeit, die der Künstler selbst winzigsten Teilchen entgegenbringt, als wären es Preziosen? Vielleicht ist es der Spannungskontrast, etwa in der monumentalen Bodenskulptur, wo Groß und Klein in eine regelrecht schwingende Beziehung treten. Farbharmonien werden aus der Addition der Dinge hergestellt. Vor allem aber erwächst die Überraschung aus dem Trugschluss, hier etwas Kostbarem zu begegnen. Purer Abfall, übler Unrat in Gestalt von durchgekauten Kaugummis oder gar Toilettenpapier, Verlustgut der Konsumgesellschaften wie verwitterte Styroporverpackungen, Bojen, Bauhelme und Wellenbretter werden zu einer eigenen Schönheit komponiert. Trotzdem bleibt dieses I-gitt-Gefühl, allerdings als eine viel stillere Kritik als etwa Thomas Hirschhorn sie formuliert, wenn er alte Computer, Handys, Fotos, Bürostühle usw. zusammenwachsen lässt. Die berühmten zwei Seiten einer Medaille; Orozco, der als Poet gilt, dokumentiert das Banale mit der Würde von Reliquienschätzen.

Mit dieser nach Strand und Spiel duftenden Ausstellung verabschiedet sich die New Yorker Solomon R. Guggenheim Foundation nach 15 Jahren zum Jahresende von Berlin. Vor allem die Anfangszeit in den späten Neunzigern spaltete die Gemüter. Die einen wertschätzten das Kunstfenster zur Welt, die anderen befürchteten, wie im Buch »Guggenheim-Prinzip« debattiert, eine hegemoniale Wertsteigerungsmaschine für den Kunstmarkt bzw. eine Standortentwicklung mit eigenem Gewinn-Vorteil. Die 54 Ausstellungen zu zeitgenössischer und der Kunst des 19. Jahrhunderts verhalfen allerdings Berlin zum viel beschworenen Weltflair. Ab Januar macht die Deutsche Bank hier unter den vom U-Bahn-Bau ächzenden Linden allein weiter.

Die Bedingungen sind allerdings nicht schlecht, das Geldhaus verfügt selbst, so der langjährige Kurator Friedhelm Hütte, über eine immense Kunstsammlung und will offen sein für neue, dann aber temporäre, Begegnungen. Da wäre an die Tate Modern zu denken, an asiatische Kunsteinrichtungen. Ein reines Politbegegnungszentrum, wie Ackermann noch im Frühjahr verkündete, würde freilich eine Verödung in Berlins historischer Mitte bedeuten.

Deutsche Guggenheim, Unter den Linden 13/15, Berlin: Gabriel Orozco. Asterisms. Bis 21. Oktober, täglich von 10 bis 20 Uhr

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