Der Abstauber aus Wolfratshausen

In Angela Merkels Kabinett will Edmund Stoiber mindestens die Nummer 1b sein - mit Ausblick nach oben

  • Peter Richter
  • Lesedauer: 7 Min.
Wie vieles andere, so wollte Edmund Stoiber irgendwann auch einmal ein Profifußballer werden. Nicht irgendeiner natürlich, sondern eine Star auf dem grünen Rasen. Dazu hat es dann am Ende nicht gereicht, aber immerhin kann er von der VIP-Tribüne den Kickern zuschauen - als Chef des Verwaltungsbeirats des FC Bayern München. Ganz genügt ihm das jedoch nicht, und deshalb spielt er rhetorisch gern Fußball. Da wird der bayerische Ministerpräsident dann zum Spielführer, der das Team vorantreibt. Er spielt natürlich nur in der ersten Liga, schießt beherzt aufs Tor und vermeidet Eigentore. Und schon gar nicht geht er in die Abseitsfalle des politischen Gegners.

Ratespiel vor und nach dem Urnengang
Einen Begriff aus dem Fußballerischen hat man von ihm aber bisher nicht gehört, den des Abstaubers. Das ist - glaubt man dem Fußballlexikon »Triberia« - »die Bezeichnung für einen Spieler, meist Stürmer, der Tore ohne große Vorbereitung und meist im Nachsetzen oder im Anschluss eines Abprallers erzielt«. Noch deutlicher wird »Dr. Popsters kleines Fußball-ABC«, das »Abstauber« gar als »der Abzocker, der Gemeine, der Gewitzte oder auch der Hinterlistige« definiert. Nicht nur die gegnerische Mannschaft werde durch solch ein Abstauber-Tor gedemütigt, sondern auch die eigene verärgert: »das ganze Spiel nur faul rumstehen, die ganze Zeit meckern und dann fällt dem doch tatsächlich der Ball vor die Füße«.
Lässt man das aktuelle Agieren des Edmund Stoiber vor dem geistigen Auge Revue passieren, dann kommt einem leicht dieser Abstauber-Begriff in den Sinn. Schon im Wahlkampf hat er kaum erkennen lassen, auf welcher Position er eigentlich spielen will - und setzte das Ratespiel nach dem Urnengang lange fort. Gleichwohl legte er das Team auf einen Kantersieg fest und beschimpfte wiederholt den östlichen Teil des Schiedsrichterkollektivs. Später stellte er die Spielführerin in Frage, verlangte ultimativ die Einwechslung des ihm genehmen Parteifreunds und für sich selbst die bevorzugte Zuspielposition. Und schließlich drohte er gar an, den Platz zu verlassen, werde ihm der Ball nicht schussgerecht vor die Füße gelegt.
Schon immer hat sich Edmund Stoiber für den Besten gehalten. Sein Jurastudium, so ließ er kolportieren, habe er mit der Note 1 abgeschlossen. Tatsächlich aber, so recherchierte sein Biograf Peter Köpf, bestand der »Einserjurist« das zweite Staatsexamen »bei 3,0«. Dafür entwickelte Stoiber schon damals Abstauber-Eigenschaften, so mit seiner Entscheidung, nach dem Studium ins junge Umweltministerium einzuziehen. »Ich dachte, da kommt man in ein noch nicht so gut strukturiertes Haus und hat vielleicht mehr Mitwirkungsmöglichkeiten«, erklärte er selbst. Und schon bald bewarb er sich um ein Landtagsmandat, das er 1974 erstmals errang. Beizeiten suchte er die Nähe des damaligen »Spielführers« Franz Josef Strauß, wurde mit Theo Waigel, Gerold Tandler und Otto Wiesheu zu dessen Sturm. Strauß holte 1978 den erst 37-Jährigen als Generalsekretär in die Führung der CSU.

Vom blonden Fallbeil zum Fast-Kanzler
Stoiber bedankte sich durch besondere Treue. »Franz Josef Strauß ist mein Programm«, bekannte er und verhielt sich auch danach. Rudolf Augstein beobachtete 1980, Stoiber benehme sich wie ein Kammerdiener, er sei »bar jeder Eigenpersönlichkeit«. Zugleich betätigte sich Stoiber als Strauß' Scharfmacher, als »blondes Fallbeil«, vor dem niemand sicher war. Dem CSU-Übervater gefiel das offenbar, denn er machte sein Ziehkind zum Staatskanzleichef. Als Strauß 1988 starb, war es aber für den ganz großen Karrieresprung des ehrgeizigen Oberbayern noch zu früh. Parteichef wurde Waigel, Ministerpräsident Max Streibl - doch in dessen Kabinett Stoiber Innenminister.
Der musste nun nur noch auf seine Chance warten. Diese bot sich endlich 1993, als Streibls Amigo-Geschäfte ruchbar wurden und er zurücktreten musste. Waigel, der eigentlich natürliche Nachfolger, war als Bundesfinanzminister in Bonn gebunden und der bayerischen Landespolitik wohl auch schon ein wenig entrückt, dazu durch die Trennung von seiner Frau und das Verhältnis mit der Skiläuferin Irene Epple ins Gerede gekommen. Stoiber setzte nach, machte das Tor und stellte seine Berufung zum Ministerpräsidenten als längst überfällig dar: »Des hab ich ja praktisch schon mal gemacht. Als ich bei Strauß in der Staatskanzlei war, da hat er nach außen gewirkt, und ich hab innen die Arbeit gemacht.« Fünf Jahre später, als Waigel nach der Bundestags-Wahlniederlage als CSU-Chef zurücktrat, rollte ihm auch dieser Ball vor die Füße.
Nun hatte er in Bayern alles erreicht, was dort möglich war - und sein Ehrgeiz war dennoch nicht gestillt. Er strebte nach Berlin, die deutsche Hauptstadt. Anfangs noch zögerlich, weil er die Erfolgs-chancen nicht recht einschätzen konnte, dann aber immer drängender - bis hin zum legendären Frühstück von Wolfratshausen. »Ein Bayer kann genauso Kanzler werden wie Bayern München deutscher Meister«, verkündete er damals, nicht ohne Hinweis auf die Erfolge des Freistaats, die natürlich in erster Linie seinem Ministerpräsidenten zu verdanken seien. Geklappt hat es dennoch nicht, aber das will Stoiber bis heute nicht so recht wahrhaben. Zwar akzeptierte er das Wahlergebnis 2002 schon nach einigen Stunden - und nicht erst nach Wochen, wie jetzt Gerhard Schröder. Aber ansonsten meint er wohl, das alles sei doch eigentlich nur ein dummer Zufall gewesen, der keinen Bestand habe.
Lange glaubte Edmund Stoiber an des Kanzlers zeitiges Scheitern und verlängerte deshalb seinen Kandidatenstatus bis hinein ins Jahr 2003. Und dass er, als Schröter zwei Jahre später tatsächlich am Ende war und selbst Neuwahlen herbeiführte, einmal nicht in Ballnähe stand und hinnehmen musste, wie eine andere zum Torschuss kam - das hält er bei weitem nicht für das letzte Wort der Geschichte. »Die können Schröder und Fischer nicht das Wasser reichen«, befand er schon vor dem Wahlkampf über Merkel und Westerwelle und verglich sie mit »Leichtmatrosen«. Der FDP-Chef ist nun tatsächlich aus dem Rennen, und Merkel habe doch gar kein »klassisches Direktions- und Weisungsrecht«, wie er kürzlich verkündete.

Seehofer als »soziales Gewissen« recycelt
Wenn schon nicht nominell die Nummer 1 in der großen Koalition, so will der CSU-Chef sie doch faktisch sein, gewissermaßen eine Nummer 1b - jederzeit bereit, selbst an die Spitze zu rücken, sollte die designierte Kanzlerin ins Straucheln kommen. Dazu zimmerte er sich ein Superministerium zusammen, das ihm die Möglichkeit zum Gestalten geben soll, während andere die Misere verwalten.
Dazu recycelte er den schon weitgehend entsorgten Horst Seehofer als »soziales Gewissen« der Union und will vergessen machen, dass gerade sein antisoziales Crash-Programm vom März 2003 plus Kopfpauschale statt solidarischer Krankenversicherung es waren, die Seehofer zum Rückzug veranlassten. Damals verkündete Stoiber noch: »Die soziale Frage heute ist nicht mehr die Verteilungsgerechtigkeit, ... sondern die Arbeitslosigkeit. Der starre Kündigungsschutz verhindert neue Arbeitsplätze. Deshalb muss der Kündigungsschutz flexibilisiert werden ...Wir brauchen zweitens eine klare Begrenzung der Lohnnebenkosten und betriebliche Bündnisse für Arbeit ... Die Sozialhilfe ... sollte für alle arbeitsfähigen Sozialhilfebezieher um 25 Prozent gesenkt werden ... Der Abstand zwischen Lohn und Sozialhilfe muss spürbar werden.« Er war damals nicht nur voll auf Angela Merkels neoliberales Programm eingeschwenkt, sondern suchte es gar noch zu übertreffen.
Stoibers Fouls schon in der Trainingsphase der neuen Koalition sollen ihn stärken und die Kanzlerin in spe schwächen. Letzteres dürfte ihm gelingen - zur Genugtuung anderer. Ersteres könnte daneben gehen, denn sein egomanisches Vorgehen gerät zunehmend in Widerspruch zu den Interessen anderer - und das nicht nur in der CDU, sondern auch in seiner eigenen Partei.
Nur mit Mühe kann er derzeit den Münchener Nachfolgestreit ums Ministerpräsidentenamt unter Kontrolle halten. In der Berliner CSU-Landesgruppe grummelt es vernehmlich, und selbst das staatstreue Bayerische Fernsehen spricht plötzlich von »Edmund Stoibers ewigem Taktieren« und kolportiert, dass es einsam um den Parteichef werde.
Wer aber einsam auf dem Feld steht, kann kaum auf einen Abpraller oder einen Zufalls-Pass hoffen. Und damit auch auf einen Abstauber nicht.
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