Putin, Kloster und Provinz

Filmreihe über eine Generation postsowjetischer Frauen im Kino Krokodil

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Kolchosbäuerin Asja liebt den Lkw-Fahrer Stepan, wird von dem Witwer Sascha hofiert - und entscheidet sich für keinen von beiden, obwohl sie von Stepan schwanger ist. So lässt sich sehr verkürzt die Handlung von Andrej Kontschalowskijs Sowjet-Klassiker »Asjas Glück« (1967) wiedergeben.

Der in Schwarzweiß gedrehte Film wurde mit echten Kolchos-Angestellten und nur drei Profi-Schauspielern gedreht und landete aufgrund seiner wenig realsozialistischen Machart für zwanzig Jahre im Giftschrank der sowjetischen Zensur. Sein schöner russischer Titel lautet übersetzt »Die Geschichte der Asja Kljatschina, die liebte, aber nicht heiratete«, was einiges über Frauen in der Sowjetunion zwischen eigenem Anspruch und Wirklichkeit und über weibliche Unabhängigkeit aussagt.

Das fiktive, aber glaubwürdige sowjetische Frauenporträt hat das Kino Krokodil nun zu einer Filmreihe inspiriert: Wie steht es um die heutige Generation von Frauen, die in der späten Sowjet-Ära geboren wurden und ihre Sozialisation im postsozialistischen Russland erlebten? Vier Dokumentarfilme aus unterschiedlichen Ländern untersuchen das Leben von russischen Frauen heute und fördern dabei sehr intime Einsichten über sie und ihre Umwelt zutage.

Als Heldin der dänischen Dokumentation »Putin's Kiss« (Putins Kuss, Regie: Lisa Birk Pedersen) agiert die ehrgeizige Mascha Drokowa. 1989 geboren, wurde sie in Russland zunächst als das Mädchen bekannt, das Wladimir Putin in der Öffentlichkeit küsste. Jugendliche Begeisterung, Idealismus und Schwärmerei machen aus der jungen Provinzlerin ein engagiertes Mitglied der nationalistischen Jugendbewegung »Naschi« (Die Unseren). Hier rekrutieren Putin und seine Gefolgsleute ihren Nachwuchs im Namen eines Russlands, das für Macht, Ordnung und unbarmherzige Repression jeglicher Oppositionsbestrebungen steht. Mascha erklimmt im Rekordtempo die Karriereleiter der Bewegung, studiert und besitzt bald ein eigenes Auto und ein Apartment in Moskau.

In einem Land, dessen soziale Strukturen in den 1990ern rapide zerschlagen wurden, erscheint die sogenannte starke Hand Putins, rigide Moralvorstellungen inklusive, der Aktivistin als Lösung für gesellschaftliche Probleme. Erst die Begegnung mit dem regierungskritischen Journalisten Oleg Kaschin lässt die intelligente Mascha allmählich eine erstaunliche Wende vollziehen.

Einen sehr radikalen anderen Weg aus ihrer sozialen Tristesse heraus wählt dagegen die junge Kristina: Als Nonne Sonja lebt sie in einem Kloster, fernab der leistungs- und konsumorientierten Gesellschaft. Radka Franczaks Dokfilm »Losing Sonja« porträtiert die orthodoxe Nonne: wie sie Ikonen malt, die Glocken läutet und sich in ihrer Holzhütte voller Haustiere der kleinen Dinge des Lebens erfreut. Während Sonjas Drang nach Spiritualität als direkte Gegenreaktion auf die sowjetische Staatsdoktrin anmutet, wählt die Protagonistin in »Anna Pavlova lebt in Berlin« (Regie: Theo Solnik) wiederum den radikal hedonistischen Weg: die Partyszene Berlins.

Der aufschlussreiche Dokfilm »Vodka Factory« von Jerzy Skladkowski wiederum begleitet die junge Provinzlerin Galja in der Kleinstadt Zhiguljowsk, 1000 Kilometer südöstlich von Moskau. Galja ist Ende Zwanzig, geschieden, Mutter eines kleinen Kindes und arbeitet in der örtlichen Wodka-Fabrik. Aus ihrem Mikrokosmos aus Fließbandarbeit, Langeweile und gewalttätigen Männern will Galja nach Moskau fliehen, um dort Schauspielerin zu werden. Ihren Sohn schiebt sie an ihre Mutter ab und verbaut ihr damit die Perspektive auf ein spätes Glück, das diese mit einem langjährigen Verehrer ausleben wollte. Galja hätte auch zu Sowjetzeiten so leben können, wie sie jetzt lebt. Womöglich wäre sie gar nicht nach Moskau gelangt, doch ob sie dort jetzt reüssieren wird, ist mehr als fraglich.

Kino Krokodil, 22. Oktober bis November, Greifenhagener Straße 32, Prenzlauer Berg, www.kino-krokodil.de, Tel: 44 03 12 52 und 44 04 92 98 (ab 19 Uhr)

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