Die Sinngebung des Sinnlosen

25 Jahre Deutsches Historisches Museum in Berlin - ein Vereinigungsfall

  • Lesedauer: 4 Min.
Nach dem Festakt mit Kanzlerin am Dienstag lädt das Deutsches Historische Museum (DHM) dieses Wochenende die Bürger zu sich ein, um den 25. Gründungstag mit zu feiern. Einen Rückblick auf ein Vereinigungsbeispiel bietet Dr. KURT WERNICKE, ehemaliger stellvertretender Generaldirektor des Museums für Deutsche Geschichte (MfDG). Mit dem Historiker sprach KARLEN VESPER.
nd: Wie kam das DHM zum schönen, barocken Zeughaus von Schlüter Unter den Linden in Berlin, in dem das MfDG der DDR residierte?
WERNICKE: Für das von Kanzler Helmut Kohl im Zusammenhang mit seiner »geistig-moralischen Wende« Mitte der 80er Jahre initiierte DHM war vom italienischen Stararchitekten Aldo Rossi ein Museumsneubau entworfen worden. Den Grundstein legte Kohl im Oktober 1987 am Platz der Republik, wo jetzt das Kanzleramt steht. Das Bauvorhaben wurde mit der unerwartet schnellen Unterwerfung der DDR schon im Frühjahr 1990 zu den Akten gelegt. Im auch bald vereinigten Berlin konnte man sich zwar zwei Nationalgalerien vorstellen, aber nicht zwei nationale Geschichtsmuseen. Am Konzept einer vernünftigen Symbiose beider Museen arbeiteten die zwei Generaldirektoren seit Mai 1990, der jeweiligen Schwächen ihrer Häuser bewusst: Das MfDG war teils personell aufgebläht; das DHM besaß kaum einen Sammlungsbestand und es mangelte an Infrastruktur für die wissenschaftliche Pflege und Bewahrung der Sammlungen.

Und dann kam alles anders?
Ja. Hinter den Kulissen wirkte dem ein vom Bonner Innenministerium abgesegneter Plan entgegen. Mit der lapidaren Begründung, das MfDG habe der SED gedient, wurde es aufgelöst, Gebäude und Bestände wurden dem DHM zugewiesen. Museumserfahrene Wissenschaftler wurden mittels trickreicher »Warteschleife« verstoßen, die ohne formale Kündigung auskam. In die Öffentlichkeit lancierte man, sie seien alle Stasi-belastet - und diese Lüge kaut die Presse teils noch heute wider.

Wie reich war der Schatz, der dem DHM geschenkt wurde?
Als Gründungsdirektor Christoph Stölzl zum 10. Jahrestag 1997 im Zeughaus den großartigen Aufstieg des DHM aus einer Idee zu einer international renommierten Kulturinstitution feierte, wies er stolz auf dessen immensen Bestand hin: ohne Bücher und Fotos allein rund 750 000 Artefakte. Dann sah er mich und fügte eilig hinzu, dass davon 620 000 Exponate des MfDG dem DHM in den Schoß gefallen sind. Das heutige DHM verschweigt nicht die vom MfDG geleistete Vorarbeit. Und ich gestehe neidlos, dass die technische Ausstattung der Depots und Restauratoren auf viel höherem Niveau ist als sie bei uns war. Dafür hat Kohl gesorgt. Auch für die enormen Ankaufsmittel, mit denen man auf internationalen Auktionen abräumte, in einem Maße, das andere Museumsdirektoren murren ließ.

Sie haben die Ausstellungen des DHM verfolgt. Ihre Bilanz?
In den 90ern war Stölzl bemüht, unter Betonung des unbeschwerten Umgangs mit dem Gewesenen dem Auftrag des Bundesjustizministers Klaus Kinkel nachzukommen, die DDR zu delegitimieren. So geschehen in den Ausstellungen »Deutschland im Kalten Krieg« und »Auftrag Kunst«, wobei es in den Katalogen auch Zwischentöne gab. Mit dem im Jahr 2000 erfolgten Amtsantritt von Hans Ottomeyer, Fachmann auf mehreren kulturhistorischen Gebieten, minderte sich die Peinlichkeit. Es kamen opulente Ausstellungen zustande, so »Mythen der Nationen« und »Altes Reich und neue Staaten 1495-1806«. Die gerade eröffnete Ausstellung »Im Atelier der Geschichte. Gemälde aus der Sammlung des DHM« gehört ebenfalls hierzu. Auch die 2006 eröffnete ständige Schau zur deutschen Geschichte von der Römerzeit bis 1990 ist gelungen - obwohl es fraglich ist, deutsche Geschichte vor der Ethnogenese der Deutschen zu denken, die frühestens im 9. Jahrhundert beginnt.

Der jetzige DHM-Direktor Alexander Koch betonte im Vorfeld der Jubiläumsfeier: »Wir sind und waren nie ein Kanzler-Museum.«
Dass das DHM von Kohl und dessen Gefolge nicht plump, per direkter Weisung dirigiert wurde, steht außer Frage. Einwirkungen liefen viel subtiler über Interessenverbände, etwa dem »Ring Deutscher Frauenverbände« und dem »Bund der Vertriebenen« et tutti quanti, die sich mit Gutachten zur Grundkonzeption des DHM äußerten. Ottomeyer aber tat als erfahrener Museumsleiter mit seinem Team dann das, was auch im MfDG getan worden war: bei verbaler Anerkennung hochgestochener Vorgaben sich an das eigene Konzept zu halten. Da Geschichte letztlich die »Sinngebung des Sinnlosen« ist, wie Theodor Lessing schrieb, ordnet der Historiker die Vergangenheit natürlich nach bestimmten Gesichtspunkten, die in einem Museum mit nationalem oder gar internationalem Stellenwert kaum fernab des Zeitgeistes liegen können. So wirkt sich die europäische Einigung auf heutige Museumskonzeptionen aus. Museumsdidaktik folgt freilich einer bestimmten Weltsicht, die sich indes durchaus im Kompromiss divergierender Meinungen formt.

Was war Ihr Lieblingsexponat im Fundus des MfdG?
Oh, es gab viele. Wegen seiner besonderen Aura vielleicht die Fahne von Kriwoi Rog, von Otto und Minna Brosowski in der Nazi-Zeit versteckt. Sie ziert nicht mehr die ständige Schau, wird aber gewiss im Depot »Fahnen« gut gepflegt.

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