Links von der Bundes-SPD

Landesparteitag wendet sich gegen die weitere Absenkung des Rentenniveaus

»Die SPD ist die Partei der sozialen Gerechtigkeit und sonst niemand«, behauptete der Berliner SPD-Vorsitzende Jan Stöß am Sonnabend. Beim Landesparteitag im nahe des Alexanderplatzes gelegenen Berliner Congress Centrum (bcc) sprach Stöß auch davon, dass die SPD »die große linke Partei« sei.

Doch in den verhängnisvollen Jahren 1998 bis 2005 hatten die Sozialdemokraten ihr traditionelles Terrain freiwillig geräumt, um in die politische Mitte zu rücken. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und seine rot-grüne Koalition fuhren einen neoliberalen Kurs. Die SPD verspielte seinerzeit ihre Glaubwürdigkeit. Daran hat sie heute noch zu knabbern.

Das wissen die Berliner Genossen. Aber sie bemühen sich, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Dabei gehen sie sogar auf Distanz zum SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, der an der beschlossenen Senkung des Rentenniveaus auf 43 Prozent des Nettolohns festhält. Der Parteitag beschloss, dass der gegenwärtige Wert von 50,4 Prozent nicht unterschritten werden soll. Am selben Tag in Düsseldorf konnte sich ein kleiner Parteitag der SPD in Steinbrücks Heimat Nordrhein-Westfalen dazu nicht durchringen.

Die Berliner hatten sich als Redner den Bundestagsabgeordneten Ottmar Schreiner (SPD) eingeladen – einen Mann, der in der Schröder-Ära mit der Politik der eigenen Partei nicht einverstanden war und jetzt deutliche Worte für die damaligen Verfehlungen fand.
Die Teilprivatisierung der deutschen Rentenversicherung im Jahr 2001 bezeichnete Schreiner als »Sündenfall«. Die Formulierung »Sozial ist, was Arbeit schafft« sei eine neoliberale Parole gewesen, die nie wieder Losung der SPD werden dürfe. Denn sozial sei nur, was gute, also anständig bezahlte Arbeit schafft. Die Absicherung der Rentner dürfe nicht der privaten Versicherungswirtschaft und den Launen der Finanzmärkte überlassen werden.

Schreiner erläuterte, dass bei den Ostdeutschen der Jahrgänge 1952 bis 1971 jeder dritte Mann und jede zweite Frau weniger als 600 Euro Rente im Monat bekommen werden, wenn alles so bleibt wie vorgesehen. Dabei habe gerade im Osten kaum jemand privat vorgesorgt, erinnerte der Bundestagsabgeordnete. Das Problem sei, dass mittlerweile ein Viertel der Beschäftigten in Deutschland mit Niedriglöhnen abgespeist werde. Selbst bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro in der Stunde käme nach 45 Arbeitsjahren keine Rente oberhalb des Sozialhilfeniveaus heraus. Dafür wären mindestens 9,30 Euro notwendig, bei einer Absenkung des Rentenniveaus auf 43 Prozent sogar 11,80 Euro.

»Wer über Altersarmut redet, aber das Wort Lohnarmut nicht über seine Lippen bekommt, der sollte die Klappe halten«, forderte Schreiner, der im März 1969 in die SPD eingetreten war. Damals studierte er an der Freien Universität Berlin und lebte in einem Wohnheim im westlichen Stadtteil Dahlem. Er würde diesen Schritt immer wieder tun, versicherte der inzwischen 66-Jährige. In einer Partei gebe es nicht nur Sonnenschein. Er habe viele Niederlagen erlebt und überlebt – dank Mao Tse Tungs Weisheit: »Von Niederlage zu Niederlage zu Sieg.«

Die 190 Delegierten jubelten Schreiner zu, erhoben sich am Ende seiner Ausführungen Beifall klatschend. Ein Zuhörer äußerte begeistert, dies sei die beste Rede gewesen, die er jemals gehört habe.
Fast alle, die später ans Pult traten, stimmten Schreiner zu. Nur der Delegierte Ulrich Brietzke nicht. Ihm wäre der Parteitag auch zu langweilig gewesen, wenn die Meinung so einhellig geblieben wäre. Brietzke wandte sich dagegen, die private Altersvorsorge »zu verteufeln«. Die Verzinsung habe sich meistens bei sieben bis acht Prozent bewegt und liege jetzt immer noch bei 3,9 Prozent. Sicher sei die gesetzliche Rente das Fundament, aber man müsse noch etwas draufbauen können, meinte der Unternehmer. Auch er erhielt Applaus. Es waren aber nur zwei Genossen, die klatschten.
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