Selbst Kopfkissen fehlen

Heime für Asylbewerber sind überbelegt und schlecht ausgestattet

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Zahl der Asylbewerber vom Balkan ist im Oktober bundesweit erneut um knapp 50 Prozent gestiegen, wie das Bundesinnenministerium gestern mitteilte. Längst wird gefragt, ob auch die Berliner Verwaltung mit der Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern überfordert ist. Es fehlen Wohnungen und Wohnheime. Es fehlen Verwaltungsmitarbeiter, die die Anliegen der Neuankömmlinge entgegennehmen. Es fehlen auch ganz simple Dinge wie Bettdecken, Kopfkissen und Impfkontingente.

Immer mehr Bezirke schicken die Asylbewerberkinder zudem nicht zur Schule: Zuerst stehen sie wochenlang auf einer Warteliste des schulmedizinischen Dienstes für die Schuleingangsuntersuchung. Ist die erfolgt, landen sie oft auf Wartelisten für Schulen. Schulräume und Lehrer fehlen.

Dabei ist Berlin schon mit viel größeren Gruppen Asylsuchender besser zurecht gekommen. Mit gegenwärtig knapp 12 000 ist die Zahl der Asylsuchenden und Flüchtlinge gegenüber 1992 auf ein Zehntel geschrumpft. Aber richtig ist auch: Seit dem Ende des Bürgerkrieges im ehemaligen Jugoslawien baten nicht wieder so viele Menschen um Asyl in Berlin und Deutschland. In den letzten fünf Jahren hat sich die Zahl der Neuankömmlinge etwa vervierfacht. Häufigste Herkunftsländer sind Russland, Serbien, Vietnam, Afghanistan, Syrien und Iran.

In Berlin leben rund 7000 Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge in Wohnungen, oft seit Jahren. Sie sind so gut integriert, dass sie in der Debatte gar nicht vorkommen. Als Problem werden von der Öffentlichkeit aber jene 4800 Asylbewerber wahrgenommen, die in 26 Wohnheimen und Notunterkünften leben. Viele von ihnen bleiben nur wenige Tage in Berlin, weil sie in andere Bundesländer umverteilt werden. Doch auch das kann wegen der Überlastung der Behörden länger dauern als in den Vorjahren. Notunterkünfte hat das Land seit September neu errichtet, oft an den Bezirken vorbei. Das ist zulässig, wenn es darum geht, akute Obdachlosigkeit zu verhindern. Ob es sinnvoll ist, die Bezirke nicht ins Boot zu nehmen, ist eine andere Frage.

»Das Land sollte die Bezirke in die Planungsphase mit einbeziehen«, fordert der Flüchtlingsexperte der LINKEN, Hakan Taş. Die Bezirke könnten besser als das Land die Anwohner erreichen und würden sich vor Ort besser auskennen. »Der Senat hätte vor Monaten mit der Akquirierung von Unterkünften beginnen müssen. Denn es war bereits im Sommer voraussehbar, dass die Flüchtlingszahlen steigen und Wohnraum knapp wird«, kritisiert der Linkspolitiker. Hinzu kommt, dass ein völlig marodes Heim in der Motardstraße in Spandau mit 550 Personen völlig überbelegt ist und niemand weiß, wann das Heim geschlossen werden muss, damit das Gebäude nicht über den Bewohnern zusammenfällt. Geplant war die Schließung schon vor einem Jahr.

Doch Bezirkspolitiker wie Lichtenbergs Bürgermeister Andreas Geisel (SPD) schieben den schwarzen Peter weniger der Landesregierung zu als einigen Bezirken, »die sich bei der Unterbringung von Asylbewerbern nicht mit Ruhm bekleckern«. Lichtenberg hätte sich seiner Verantwortung gegenüber Menschen gestellt, die vor Not und Verfolgung nach Berlin flohen und beherbergt mit fast 1200 die meisten Asylbewerber berlinweit. »Die CDU-Bezirke Reinickendorf und Steglitz-Zehlendorf haben sich gesperrt«, kritisiert der SPD-Bürgermeister.

Jetzt hat das Land in Reinickendorf die erste Notunterkunft in Betrieb genommen. In einer früheren Schule sollen bis zu 150 Asylsuchende wohnen. Reinickendorfs Baustadtrat Martin Lambert (CDU) protestierte prompt. In der »Berliner Morgenpost« wird er mit der Behauptung zitiert, in einem allgemeinen Wohngebiet sei eine Gemeinschaftsunterkunft baurechtlich unzulässig. Die Nachbarn fühlten sich durch Lärm und Müll belästigt. Hakan Taş schüttelt den Kopf. »Asylsuchende haben genauso wie andere Menschen auch ein Recht auf städtische Infrastruktur. Die finden sie in Wohngebieten und nicht auf Industriebrachen.«

Lichtenbergs Bürgermeister weist zudem die Behauptung zurück, Asylbewerber würden für Kriminalität, Lärm und Dreck sorgen. »Der Anstieg der Kriminalität rund um unsere Heime ist gleich Null. Weder Wohnungseinbrüche noch Autodiebstähle haben zugenommen, wie von einigen Anwohnern befürchtet. Und auch Lärm und Dreck haben wir nicht«, so Geisel. Um für ein Miteinander zu sorgen, habe Lichtenberg aber Anwohnerbeiräte installiert, sei im Gespräch mit Vermietern, Nachbarn und Migrantenvereinen.

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