Modernes Märchen voller Musik

»Herr Flügel und das blaue Piano« bringt Kindern ab acht Jahren den Schuldenkreislauf nahe

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Theaterstück für Kinder, das sich mit den Mechanismen von Banken, Geldverkehr und Schuldenkreisläufen beschäftigt? Was als Thema so trocken daherkommt wie Zwieback, setzt das Atze Musiktheater mit der Inszenierung »Herr Flügel und das blaue Piano« in ein charmantes, modernes Märchen voller Musik um.

Die Geschichte hat Theaterleiter und Autor Thomas Sutter, der erstmals auch Regie führt, kindgerecht nachvollziehbar gestaltet. Pianist Herr Flügel, gespielt von Kay Dietrich, hat nämlich eine tolle Geschäftsidee: Mangels Engagements bietet er in einem kleinen Laden spontane Wunschkonzerte an, steht mangels Kundschaft jedoch kurz vor der Pleite. Und das, obwohl er gerade erst die patente, aber wohnungslose Frau Arm (Göksen Güntel) als Reinigungskraft angestellt hat. Da kommt das Angebot von Bankberater Fraglos, der mit einem attraktiven Kredit die Lösung der finanziellen Probleme verspricht, gerade recht. Zwar rät Frau Arm dringend ab, Herr Flügel aber, bei dem sich die unbezahlten Rechnungen schon meterhoch stapeln, geht auf das Angebot ein. Nun floriert das Geschäfts, doch der Pianist muss bald feststellen, dass er sich zwar die Finger wund spielen kann, die Schulden aber nicht weniger werden. Ganz im Gegenteil: Wegen der Zinsen wachsen die Forderungen, obwohl er stetig abzahlt - und bald ist alles, was er besitzt, in Gefahr. Sogar das blaue Piano ...

Geldprobleme, wachsende Schulden, drohende Privatinsolvenz: Klug und spannend wird Kindern ab acht Jahren hier das Thema Schuldenkreislauf nahe gebracht, das sie aus jeder Nachrichtensendung kennen und leider oft auch von zu Hause, dem sie in seiner Komplexität aber noch nicht folgen können. Im Verein mit der momentan allgegenwärtigen Komponistin und Musikerin Sinem Altan, die das Stück live am Klavier begleitet, erzählt Thomas Sutter von einem alltäglichen Problem, dass in unserer turbokapitalistischen Zeit Millionen Menschen in den Ruin führt: wie leicht es ist, sich Geld zu leihen, und wie schwer, die durch Zins und Zinseszins aufgeblasenen Forderungen abzuzahlen.

Dass das Ganze nicht zu problematisch wird, dafür sorgt der Kunstgriff, der ausbeuterischen Bank die positive Figur der Frau Arm entgegenzustellen. Die hält den Laden nicht nur in Schuss, sondern übernachtet dort heimlich mit ihren zwei lustig-anarchistischen Freunden, Herrn Schlips und Frau Hose. Der einsame Pianist Flügel ist zuerst entsetzt, wird dann aber Teil dieser gut gelaunten Schicksalsgemeinschaft, die ebenso für das Prinzip Hoffnung steht wie für die Kraft der Freundschaft.

Neben diesen zur Identifikation einladenden Protagonisten spielt die Musik die Hauptrolle in dem Stück. Das macht sich schon rein optisch am Bühnenbild bemerkbar: Der kleine Laden mit dem blauen Piano, unter dem sich Notenbücher und ungeöffnete Mahnbriefe stapeln, wird eingerahmt von den Musikern - links Sinem Altan am Klavier, rechts Dietrich Koch (Querflöte, Klarinette) und Nikolaus Herdieckerhoff am Cello. Die beiden unterstreichen die mal klassischen, mal fetzig jazzigen Stücke und Lieder auf ihren Instrumenten und spielen zusätzlich Nebenrollen wie die gierigen Banker oder den Gerichtsvollzieher. Und sind trotzdem konzentriert zur Stelle, wenn Herr Flügel endlich Publikum hat und Chopins Walzer in eine mitreißende Jazzimprovisation übergehen lässt oder Bachs Klavierkonzert in bekannte Popsongs.

Wieder 18.11., 1.12., 16 Uhr, 19.-21.11.und 16.-18.12. je 10.30 Uhr, weiter im Januar 2013; Atze Musiktheater, Max-Beckmann-Saal, Luxemburger Str. 20, Wedding, Karten unter Tel.: 81 79 91 88 oder tickets@atzeberlin.de

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