Bewegungsforscher – parteiisch für wen?

Eine Anmerkung zu Tom Strohschneiders "Protestbewegungen und emanzipatorische Forschung: eine Tagung in Berlin".

Das Gros der deutschen Protestforscher sieht in sozialen Bewegungen im Wesentlichen einen Teil der Gesellschaft, der zur Modernisierung und Demokratisierung der bestehenden Verhältnisse beiträgt. Bewegungen aber, die beanspruchen wirksam in das Rad der Geschichte einzugreifen, wollen etwas anderes. Unter den Genoss/innen, die dieser Tage von den Linksparteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger zum zweiten Bewegungsratschlag (siehe auch hier) eingeladen wurden, befinden sich beispielsweise Aktivist/innen, die die herrschenden Verhältnisse nicht modernisieren, sondern überwinden und nicht weniger als den bürgerlichen Staat und den Kapitalismus abschaffen wollen. Und die auch richtigerweise sagen, dass dies nicht ganz ohne Gewalt möglich sein wird.

Das geht manchen Protestforschern zu weit. Ginge es – um exemplarisch ein Beispiel herauszugreifen – nach Prof. Dieter Rucht, der auf der Tagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung über „Bewegungsforschung zwischen Parteilichkeit und methodischer Distanz" sprechen wird, gehörten während eines Castortransports „passive Widerstandsformen", nicht aber „eindeutig strafbare Aktionen" in ein ordentliches Protestrepertoire. Er teilt die Bewegung einerseits in friedliche und maßvolle, andererseits in gewaltbereite und autonome Aktivisten – wie es der Pressesprecher der Polizei nicht besser hätte formulieren können. Ist die Bewegung in dieser Logik diskursiv auseinanderdividiert, erleichtert das den Zugriff der Polizei und Justiz ungemein.

Diese Denke von Spaltung und Abgrenzung läuft einem Grundsatz entgegen, auf den sich Bewegungen in jüngster Zeit immer wieder einigten. Mit der Kampagne „Castor Schottern", aber auch bei „Blockupy Frankfurt" wiesen die Organisator/innen den staatlichen Legalitätsbegriff zurück und verständigten sich außerdem darauf, sich nicht von anderen Protest- und Widerstandsformen zu distanzieren.

Dieses Prinzip missfällt staatlichen Stellen – weil es Repression erschwert –, aber offensichtlich auch Protestforschern, die sich in diesem Punkt diskursiv auf die Seite des Staates stellen. Ihre Parteilichkeit für Bewegungen reicht nur so lange die Widerstandshandlungen im jeweils akademisch zugewiesenen Rahmen bleiben. Wenn Bewegungen diesen Rahmen verlassen, wenn sie mit ihren Aktivitäten Grenzen überschreiten, wenn sie um Glück und Befreiung – also um Emanzipation von Staat und Kapital – kämpfen, dann ist es auch mit der Parteilichkeit des deutschen Protestforschers vorbei.

Bewegung und Bewegungsbeforscher haben sehr unterschiedliche Interessen. Kein Wunder also, dass hierzulande Protestforscher in der Kritik stehen. Zum G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm waren sie auf den Treffen der Aktivist/innen ausdrücklich nicht erwünscht. Sie betrachten die Bewegungen und äußern sich dann darüber mit distanziertem Blick von außen. Sie sind gern gesehen als Redner auf wissenschaftlichen Kongressen, auch als Interviewpartner für bürgerliche Medien – teils auch für das neue deutschland. Aber nicht eingeladen werden sie zu Vor- und Nachbereitungstreffen der Bewegung. Der Bewegung nutzt nämlich eine Forschung, die auf Optimierung der deutschen Sicherheits- und Staatsarchitektur aus ist, nicht. Aus Sicht der Bewegung ist sie sogar kontraproduktiv.

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