Zehn Prozent mehr Geschlossenheit
Heidrun Bluhm ist neue LINKE-Landeschefin in Mecklenburg-Vorpommern
Worum es ab jetzt gehen soll für die Linkspartei in Mecklenburg-Vorpommern, wurde auf dem Sonderparteitag am Samstag symbolisch verdeutlicht: Wahlkampf. Steffen Bockhahn, dessen Rückzug als Parteichef die Versammlung nötig gemacht hatte und der 2013 sein Direktmandat in Rostock verteidigen will, bekam ein Ersatzrad für seine Rennmaschine - mit Energieriegeln an den Speichen. Zuspruch gab es auch für Kerstin Kassner: Die langjährige LINKE-Landrätin auf Rügen, die im Herbst vergangenen Jahres im neugebildeten Großkreis Vorpommern-Rügen knapp einem CDU-Bewerber unterlegen war, soll bei der Bundestagswahl 2013 gegen Angela Merkel antreten und die Bundeskanzlerin in deren Wahlkreis in Gefahr bringen, was 2009 der Stralsunder Kreischefin Marianne Linke nicht gelungen war.
Bundesfraktionsvize Dietmar Bartsch stimmte den Parteitag energisch auf Wahlkampf ein: Der Nordosten mit seinen weit verbreiteten Niedriglöhnen zeige, was im Bund als »Jobwunder« gefeiert werde: Die fortgesetzte Umverteilung von oben nach unten, das Auseinanderklaffen der Schere zwischen prekären Verhältnissen auf der einen Seite und einem »asozialen Reichtum« auf der anderen. Man müsse klar sagen, dass man hier »etwas wegnehmen« wolle, warb er für eine fünfprozentige Millionärssteuer. Auch Bluhm stellte die soziale Frage in den Vordergrund: Jeder vierte Einwohner von Mecklenburg-Vorpommern lebt an der Armutsgrenze, unterstrich die neue Landeschefin.
Themen, mit denen die Landes-LINKE auch bundespolitisch punkten könnte, gibt es genug. In kaum einem anderen Bundesland gibt es so viele »Aufstocker«, die nach der Arbeit zum Sozialamt müssen, in kaum einem anderen Land leiden die Kommunen so sehr an struktureller Unterfinanzierung durch vom Bund auferlegte Aufgaben. Doch um ihre Potenziale ausschöpfen zu können, muss die Partei ein geschlossenes Bild abgeben. Das hatte schon die letzte Landtagswahl im Nordosten gezeigt, als die Partei ihr Prozentergebnis zwar ausbauen konnte, aber dennoch hinter ihren Möglichkeiten zurückblieb. Schon insofern war die Situation, dass eine von Flügelkämpfen überlagerte Auseinandersetzung um die Kreisverbandsstruktur zuletzt auf der Ebene gerichtlicher Verfügungen ausgetragen worden war, untragbar.
Die Situation scheint sich nach dem Rückzug von Steffen Bockhahn ein wenig entspannt zu haben: Seine bisherige Stellvertreterin Heidrun Bluhm erreichte ohne Gegenstimmen mit etwa 75 Prozent ein Ergebnis, das in anderen Parteien als Klatsche gewertet werden würde, für die Verhältnisse der Landes-LINKEN aber um etwa zehn Prozent mehr Geschlossenheit signalisiert als die Resultate von Bockhahn, die sich um 65 Prozent bewegt hatten. Konnte der zurückgetretene Landeschef zuletzt keine zwei Drittel der Delegierten hinter seinem Antrag auf Auflösung des widerspenstigen Stralsunder Kreisverbandes versammeln, gaben nun drei von vier Delegierten Bluhm ihr Vertrauen. Zum Stellvertreter wurde der Kulturpolitiker Tosten Koplin gewählt, der der Parteilinken zugerechnet wird, sich in den Flügelkonflikten zuletzt aber zurückgehalten hatte.
Mit der 1958 geborenen Bluhm steht erstmals in der Nachwende-Geschichte des Nordostens eine Frau an der Spitze einer der drei großen Parteien. Mit weiblichem Spitzenpersonal ist die frühere PDS und heutige LINKE im Land stets gut gefahren: Mehrheiten für die Partei konnten neben Bockhahn bisher nur die in Vorpommern-Greifswald amtierende Landrätin Barbara Syrbe, die Schweriner Oberbürgermeisterin Angelika Gramkow und die langjährige Rügener Landrätin Kerstin Kassner verbuchen.
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