Beispielloser Verriss

Gericht rügt Thüringer Polizeiaufgabengesetz

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Der karge Verhandlungssaal des Verfassungsgerichts ist kein beliebter Ort für Thüringer Ministeriale. Regelmäßig zerpflücken die Richter dort Landesgesetze. Gestern war das Thüringer Polizeiaufgabengesetz an der Reihe.

Weimar (dpa/nd). Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat zahlreiche Regelungen im Polizeiaufgabengesetz verworfen. Mehr als ein Dutzend Punkte seien unvereinbar mit der Landesverfassung, sagte Gerichtspräsident Joachim Lindner bei der Verkündung des einstimmig gefassten Urteils am Mittwoch. Das Gericht kritisierte vor allem zu viele unklare und unverständliche Regelungen. Die Bestimmungen zu geheimer Datenbeschaffung vom Telefonabhören bis zu verdeckten Ermittlern könnten aber bis zu einer Neuregelung in Kraft bleiben. Diese müsse bis Ende September 2013 erfolgen.

Eingriffe in Intimsphäre

Drei Anwälte hatten Verfassungsbeschwerde gegen das im Sommer 2008 vom Landtag geänderte Polizeiaufgabengesetz eingelegt, da es zu weitgehend sei und zu weit in den eigentlich geschützten Kernbereich des persönlichen Lebens und die Intimsphäre eingreife. 2008 regierte die CDU unter Ministerpräsident Dieter Althaus das Land Thüringen mit absoluter Mehrheit.

Das Gesetz regelt unter anderem die verdeckte Beschaffung von Informationen, wenn es kein Ermittlungsverfahren gibt, sondern nur Vermutungen oder einen Verdacht - oder wenn eine akute Gefahr verhindert werden soll. Gibt es ein Ermittlungsverfahren, regelt die Strafprozessordnung Abhören und andere heimliche Methoden.

Die Beschwerde habe im wesentlichen Erfolg gehabt, sagte Lindner zu Beginn der fast zweistündigen Urteilsbegründung. Das Gericht rügte vor allem zahlreiche Verstöße gegen die sogenannte Normenklarheit. Immer wieder kritisierten die Richter nicht nur sprachliche Ungenauigkeiten und Fehler, sondern auch unvollständige Regelungen oder unverständliche Verweise von einem Gesetzespassus zum nächsten. Teilweise vergrößerten einzelne Sätze die »Verwirrung« über vorhergehende nur noch. Für Polizisten in einer unklaren Einsatzsituation mit Zeitdruck bedeute das nicht hinnehmbare Schwierigkeiten. Auch die Bestimmungen über den Schutz von Geheimnisträgern wie Anwälten erfüllten die Anforderungen an die notwendige Klarheit nicht.

Außerdem kritisierten die Richter die Regelungen zum Schutz des persönlichen Kernbereichs und der Intimsphäre. Die Aufzählung der vor Aufzeichnung geschützten Arten von Gesprächen und Gefühlsäußerungen sei im Gesetz viel zu eng gefasst. Unvollständig seien auch die Regelungen, wann in solchen Fällen Überwachungen unterbrochen werden müssten.

Gerügt wurde auch die zu einfache Möglichkeit für Behörden, Betroffene nach einer Überwachung nicht zu benachrichtigen. Diese Benachrichtigung sei aber die entscheidende Voraussetzung, um das Grundrecht auf juristischen Einspruch überhaupt geltend machen zu können. Das nächste Gesetz müsse vorgeben, dass Betroffene nur auf richterlichen Beschluss nicht benachrichtigt werden.

Bloß keine Bewertung

»Ich habe noch nie ein Urteil gehört, in dem ein Landesgesetz so gerügt wurde«, sagte Burkhard Hirsch, früherer Innenminister Nordrhein-Westfalens, als Vertreter der klagenden Anwälte. Es sei damals erkennbar im Gefühl der absoluten Mehrheit ohne ausreichende Anhörung der Betroffenen »hingehuscht« worden. Vorbilder für neue Bestimmungen könnten die Abgeordneten in Nordrhein-Westfalen genauso finden wie in Bayern.

Innenstaatssekretär Bernd Rieder sagte, es mache jetzt keinen Sinn, das damalige Gesetzgebungsverfahren erneut zu bewerten. Das Ministerium wolle bis Anfang kommenden Jahres einen Referentenentwurf für eine Neufassung vorlegen. Ein Erlass solle außerdem dafür sorgen, dass der Urteilstenor auch vor dem neuen Gesetz schon in der praktischen Polizeiarbeit umgesetzt werde.

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