Mehr Sicherheit durch Resozialisierung

Justizminister Schöneburg will mit neuem Strafvollzugsgesetz die Rückfallquote senken

  • Lesedauer: 5 Min.
Der 1958 in Potsdam geborene Rechtswissenschaftler Volkmar Schöneburg (LINKE) ist seit Ende 2009 brandenburgischer Justizminister. Gestern beschloss das rot-rote Kabinett Schöneburgs Entwurf für ein neues Strafvollzugsgesetz. Mit Volkmar Schöneburg sprach Andreas Fritsche.

nd: Herr Minister, Sie wollen Mördern frühzeitig Hafturlaub gewähren und auch andere gefährliche Straftäter auf die Bevölkerung loslassen - warum?
Schöneburg: Falsche Frage: Wir wollen mit dem Gesetz dem in unserer Landesverfassung (Artikel 54) verankerten Ziel der Resozialisierung der Strafgefangenen noch bewusster Rechnung tragen. Dazu zählt auch, dass der Strafgefangene den Bezug zum Leben außerhalb der Anstalt nicht verliert. Dem dient unter anderem die Erprobung in Lockerungen, das heißt Ausgang oder Langzeitausgang, die natürlich nur gewährt werden, wenn eine Missbrauchs- beziehungsweise Fluchtgefahr weitgehend ausgeschlossen werden kann. Also: Wir wollen nicht gefährliche Straftäter auf die Bevölkerung loslassen, sondern mehr Sorge dafür tragen, dass sie bei einer Haftentlassung nicht mehr gefährlich sind.

Wie oft kommt es in Brandenburg vor, dass Häftlinge aus Gefängnissen fliehen oder von einem Hafturlaub nicht zurückkehren?
Der letzte Ausbruch aus dem geschlossenen Vollzug datiert auf das Jahr 2007, also vor meiner Amtszeit. Es gab in den letzten beiden Jahren Missbräuche von Lockerungen, die 0,084 Prozent der gewährten Lockerungen umfassten. Die Missbräuche bestanden auch nicht darin, dass Straftaten begangen worden sind. Vielmehr kamen die Betreffenden zu spät aus dem Urlaub zurück. Von daher ist das Gerede von der Gefährdung der Sicherheit einfach nur populistische Panikmache.

Das neue Strafvollzugsgesetz beinhaltet sicher mehr als die Regelung zum Hafturlaub. Welche anderen Maßnahmen gibt es, und was versprechen Sie sich davon?
Wir streben für den Anfang der Haft eine genauere Diagnostik an, damit die behandlerischen Maßnahmen an die Stärken und Schwächen des Gefangenen anknüpfen können. Solche sind schulische und berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Arbeitstraining, Arbeitstherapie oder Psychotherapie. Die Maßnahmen haben auch Vorrang vor der Erwerbsarbeit. Die Arbeitspflicht, wie sie immer noch besteht, soll mit dem Gesetz abgeschafft werden.

Darüber hinaus sieht der Entwurf den offenen und geschlossenen Vollzug als gleichrangige Unterbringungsformen vor, garantiert eine konsequente Einzelunterbringung oder regelt die Möglichkeit des Wohngruppenvollzuges. Daneben enthält der Entwurf vielfältige Regelungen, die die Wiedereingliederung der Gefangenen verbessern sollen. Wenn wir damit die Rückfallquote um fünf bis zehn Prozent senken würden, hätten wir schon viel erreicht. Denn sehen Sie: Die totale Institution Strafvollzug ist nicht per se eine Institution des sozialen Lernens. Vielmehr gehen hier Sozialkompetenzen verloren und nach vier bis fünf Jahren verstärkt sich die Hospitalisierung der Gefangenen. Das sind unter anderem Gründe, warum die Rückfallquote bei erwachsenen Strafgefangenen bundesweit bei etwa 50 Prozent liegt, bei Jugendlichen sogar bei knapp 70 Prozent.

Ich verstehe, dass eine erfolgreiche Resozialisierung die Rückfallquote senken und so die Sicherheit der Bürger erhöhen soll. Aber kann man nur hoffen oder vermuten, dass die neuen Regelungen im Strafvollzugsgesetz dieses Ziel erreichen, oder gibt es dafür Belege?
Es gibt beispielsweise eine Untersuchung aus Nordrhein-Westfalen, die den Zusammenhang von Qualifikation im Vollzug und einer adäquaten Wiedereingliederung in den Blick genommen hat. Danach sind diejenigen, die ohne berufliche Qualifikation aus dem Vollzug in die Arbeitslosigkeit entlassen worden sind, zu 90 Prozent rückfällig geworden. Hingegen betrug die Rückfallquote bei denen, die eine berufliche Ausbildung genossen haben und nach der Entlassung in eine adäquate Beschäftigung gebracht worden sind, lediglich noch 32 Prozent.

Deutlich wird, worauf eine erfolgreiche Resozialisierung fußt: Vernünftige Behandlungsmaßnahmen im Vollzug und eine gute Wiedereingliederung. Ein anderes Beispiel: Zahlreiche Untersuchungen zur Sozialtherapie belegen, dass gut strukturierte und implementierte Behandlungsprogramme zu einer signifikanten Rückfallreduzierung um 10 bis 15 Prozent führen. Logische Konsequenz: Der Entwurf sieht eine Ausweitung der Sozialtherapie vor.

Sie haben einmal daran erinnert, wie bei einer Amnestie in der DDR die entlassenen Straftäter Arbeitsstellen und Wohnungen bekamen und junge Familien deswegen ein Jahr länger auf die eigenen vier Wände warten mussten. Sie haben wörtlich gesagt: »Wir haben uns alle damals geärgert, aber es war der richtige Weg.« Könnte man sich heute davon etwas abschauen?
Zunächst muss man voranstellen, dass der Strafvollzug in der DDR sehr hart und vielfach auch menschenrechtswidrig war. Aber hinsichtlich der Wiedereingliederung kann man sicherlich einige Anregungen aufnehmen. Das Zurverfügungstellen von Arbeit und Wohnraum, eingebettet in ein engmaschiges Netz sozialer Kontrolle und Hilfe war natürlich rückfallvermeidend. Unter den jetzigen Bedingungen versuchen wir dem mit einem Wiedereingliederungsplan, der ein Jahr vor der Haftentlassung erstellt werden soll, Rechnung zu tragen. In seine Erstellung wird der zukünftige Bewährungshelfer bereits einbezogen.

Zudem geht es darum, die professionellen sozialen Dienste der Justiz mit den kommunalen Trägern (Arbeitsagenturen, Wohnungsgesellschaften) und denen der Freien Straffälligenhilfe besser zu vernetzen, um einen günstigen sozialen Empfangsraum für den Entlassenen zu schaffen.

Seit Ihrem Amtsantritt steht die Resozialisierung bei Ihnen an erster Stelle. Wie kommt das bei Ihren Genossen an?
Die Frage ist doch die: Wollen wir die Sozialkompetenzen der Gefangenen im Vollzug erhöhen oder nicht? Im Übrigen verzichten wir ja nicht auf die Bestrafung, sondern wollen nur den Vollzug der Freiheitsstrafe humaner ausgestalten. Das findet die Zustimmung der Mehrheit der Genossen. Außerdem wissen wir, dass die Kriminalität immer noch primär ein soziales Phänomen ist. Insofern ist die Erhöhung der Partizipationschancen der straffällig Gewordenen, also das Herunterbrechen des »sozialen Rechtsstaates« auf den Strafvollzug, eine ureigene linke Position.

Zeigen Vorhaltungen der Gewerkschaft der Polizei, Anschuldigungen der CDU und Panikmache in der Boulevardpresse Ihrer Beobachtung nach Wirkung oder gibt es in der Bevölkerung eine Mehrheit für Ihre Vorstellungen von Resozialisierung?
Über Mehrheitsverhältnisse will ich nicht spekulieren. Aber die Panikmache hatte ja zur Folge, dass eine rationale Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen des Strafvollzuges angestoßen wurde. Meine Erfahrung ist: Immer dort, wo man über die wirklichen Zusammenhänge aufklärt, findet man auch Zustimmung in der Bevölkerung.

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