Mieter-Vertreibung in Berlin

Wirtschaftsvertreter wollen durch Quersubventionierung ein ausgewogenes Wohnungsangebot sicherstellen

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 2 Min.

»Wir brauchen die Mischung«, sagt Eric Schweitzer am Dienstagabend vor Journalisten zum Thema Wohnen in Berlin, und es klingt wie ein Bekenntnis. Das ist es wohl auch, gilt doch der Einsatz des Präsidenten der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) einem nach Wirtschaftsmeinung ausdrücklich »harten Standortfaktor«. Ihn zu erhalten, bedürfe es auch künftig bis in die Mitte der Stadt eines ausgewogenen Wohnungsangebotes für Mieter mit geringen oder mittleren Einkommen.

Branchen wie Tourismus, Informationstechnologie- und Kreativwirtschaft sowie Zuzügler aus dem Ausland drängten gerade wegen der »inspirierenden« Mischung vieler gesellschaftlicher Gruppen in der Innenstadt nach Berlin, analysiert die IHK in einem von der Branchenkoordinatorin Bau- und Immobilienwirtschaft, Karla Leyendecker, vorgelegten Papier. Wohnungspolitik müsse also neben sozialpolitischen auch aus wirtschaftlichen Gründen die »Berliner Mischung« erhalten.

Unter neun »Handlungsempfehlungen« findet sich dann auch folgerichtig unter dem Schlagwort »Gemischtes Wohnen in der Stadt« das Bekenntnis zu schneller und gezielter Förderung unterer Einkommensschichten. Wohnberechtigungsscheine und Zuschläge zur Miete sowie auch eine regelmäßige Überprüfung der Einkommen würden Verdrängung entgegenwirken, heißt es. Das könne auch die Dialektik durchbrechen, dass Haushalte wegen zu niedriger Warmmietgrenzen Kosten reduzieren müssen und auf den Markt drängen. Dort jedoch treiben sie dann wieder die Preise durch wachsende Nachfrage.

Weil es mit dem Neubau nicht klappe, sollen Quersubventionierungen her. Das Stichwort lautet »Nutzungsmischung«, teure Wohnungen finanzieren günstige mit. Vereinbarungen von Bezirken mit privaten wie städtischen Investoren über einen Mietwohnungsanteil für das untere und mittlere Segment würden bei Neubauten bereits »vereinzelt« getroffen. Damit wäre der Neubau in und von Quartieren mit alters- und familiengerechtem preisgünstigem Wohnraum zu steuern.

Gerade innerstädtisch, so die IHK, könnte durch eine aktive Zuweisung von Bauland mit verbindlichem Planungsrecht ein Anteil von Wohnungen mit niedrigeren und mittleren Mieten »für eine bestimmte Laufzeit mit verbindlicher Maximalhöhe festgeschrieben werden«.

Die IHK wäre nicht Interessenvertreter von rund 300 000 Unternehmen der Stadt, würde sie nicht auf »marktwirtschaftliche Ausrichtung« der Wohnungspolitik setzen. Nur diese könne doch »schnell und flexibel auf starke Veränderungen der Parameter des Wohnungsmarktes reagieren«. Die Kostenexplosion des sozialen Wohnungsbaus und dass 2011 private Unternehmen 4300 von 4500 Wohnungen in Berlin bauten, scheinen das zu bestätigen.

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