Massaker setzt US-Waffenindustrie zu

Aktienkurse von Produzenten brechen ein, Investmentfirmen trennen sich von Anteilen

  • John Dyer, Boston
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach dem Massaker von Newtown könnte es erstmals Konsequenzen für die Waffenindustrie geben. Auch an den Börsen scheint es einen Meinungsumschwung zu geben.

Die US-Sportartikelkette »Dicks Sporting Goods« reagierte rasch auf das Massaker an einer Grundschule in Newtown. In sämtlichen 511 Geschäften wurden halbautomatische Gewehre aus dem Sortiment genommen. »Wir sind untröstlich über die unfassbare Tragödie, die sich vergangene Woche abspielte«, hieß es in einer Erklärung des Unternehmens vom Dienstag. »Unsere Herzen sind bei den Opfern, ihren Angehörigen und der ganzen Gemeinde.«

Am gleichen Tag gab die Fondsgesellschaft Cerberus bekannt, dass sie ihren Anteil von 95 Prozent an der Freedom Group verkaufen werde. Das Unternehmen stellt Gewehre des Typs Bushmaster AR-15 her. Mit dieser Waffe hatte der Attentäter 20 Schulkinder und sechs Erwachsene erschossen. »Es ist offensichtlich, dass diese Tragödie ein Wendepunkt war«, erklärte Cerberus. »Die öffentliche Debatte über Waffenkontrolle hat dadurch ein nie da gewesenes Ausmaß erreicht.«

Noch ist es zu früh, um die Folgen für die US-Waffenindustrie abzusehen. Aber die Reaktionen aus Politik, Öffentlichkeit und an den Börsen deuten an, dass der bislang florierenden Branche schwere Zeiten bevorstehen. In diesem Jahr setzte die Waffenindustrie bislang 11,7 Milliarden Dollar um. Die Marktforscher von IBISWorld ermittelten zudem einen Gewinn von 992 Millionen Dollar. Die Branche beschäftigt 35 000 Menschen. Nach Angaben der John-Hopkins-Universität in Baltimore liegt diese Zahl nur leicht über der der jährlich zu verzeichnenden Todesopfer.

Lobbyisten der Waffenindustrie sehen diese wirtschaftlich sogar noch bedeutender. Die »National Sports Shooting Foundation« behauptet, durch Waffen würde jährlich sogar 31,8 Milliarden Dollar umgesetzt, wenn man die Jagd, Sportschießen und andere Freizeitaktivitäten mit einbezieht. Gerade in den vergangenen Jahren ging es der Branche ausgesprochen gut. Die Angst, Barack Obama könnte die Waffengesetze verschärfen, führte schon im Vorfeld seiner ersten Wahl zu einem starken Anstieg der Verkäufe. Seit 2007 wurde ein jährliches Wachstum von 5,7 Prozent verzeichnet.

Doch nun scheint sich einiges zu ändern: Auch die größte Supermarktkette, Wal-Mart, kündigte Einschränkungen für Waffen an. Die Werbung für das Bushmaster AR-15 wurde entfernt, in den meisten Geschäften wird das Gewehr nicht mehr angeboten. Staatliche Pensionsfonds wollen ihre Beteiligungen in dieser Industrie zumindest überdenken. Die Investmentfirma Vanguard, größter Einzelaktionär beim Waffenhersteller Smith & Wesson, äußerte in einer Erklärung zumindest »Bedenken hinsichtlich der Sicherheit von Handfeuerwaffen«.

Solche Reaktionen führten zu massiven Verkäufen von Aktien der US-Waffenproduzenten. Das Papier von Smith & Wesson verlor in den vergangenen Tagen ein Viertel seines Wertes. Bei Sturm, Ruger & Co. sieht es ähnlich aus. Beide Firmen repräsentieren ein Drittel der gesamten Branche.

Das jetzt diskutierte Verbot von Sturmgewehren würde den Profit der Waffenindustrie erheblich schmälern, glaubt Waffenexperte Rommel Dionisio. »Eines der bestverkauften Produkte würde damit vom Ladentisch verschwinden.«


Lexikon

Cerberus Capital Management gehört zu den führenden Private-Equity-Gesellschaften. 1992 in New York gegründet, haben die Cerberus-Beteiligungsfonds bislang rund 25 Milliarden Dollar in etwa 300 Unternehmen investiert. Vorstandschef ist der frühere US-Finanzminister John W. Snow. Im Vorstand sitzt auch der frühere US-Vizepräsident Dan Quayle. nd

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