Zwischen den Feuern
Vom Jubiläumsjahr wechselt Berlin in das Themenjahr 2013 »Zerstörte Vielfalt«
Die für Betrachter besonders reizvollen Feiern zum 775. Gründungsjahr Berlins hatten Feuer. Im wahrsten Sinne des Wortes. Entfacht wurden sie im historischen Zentrum der einstigen Doppelstadt Cölln und Berlin. Es loderte an Straßen und Wegen, auf Plätzen und Flächen. Viele Gäste wurden gelockt aus nah und fern, auch Berliner staunten mal. Das wirkliche Zentrum der Oktobertage war das Nikolaiviertel. Besonders das Mittelalter grüßte zum Fest.
Das Jubiläumsjahr 2012 vergeht, seine Feiern sind Vergangenheit. Doch auch im kommenden geht es um Flammen. Dies freilich in ganz anderer Weise und mit ganz anderer Bedeutung. Das Themenjahr 2013, eine Initiative des Landes Berlin, heißt »Zerstörte Vielfalt - Berlin in der Zeit des Nationalsozialismus«. Unter der faschistischen Herrschaft brannten Bücher und nicht viel später Menschen, brannten Synagogen und nicht viel später stand die Welt in Flammen.
Die Eckdaten des kommenden Jahres sind der 80. Jahrestag des Machtantritts Adolf Hitlers am 30. Januar 1933 und der 9. November als 75. Jahrestag der Novemberpogrome gegen die jüdischen Mitbürger. Ein Jahr des Gedenkens, der Erinnerung und Mahnung, der aktiven Auseinandersetzung soll mit ihnen verbunden sein.
Eines der vielleicht beliebtesten »Exponate« der 775-Jahr-Feiern war der begehbare Stadtplan auf dem Schlossplatz. Hier wurde Berlin als Stadt der Einwanderung, also der Vielfalt anschaulich. Hugenotten, polnische Wanderarbeiter, Juden aus Osteuropa und so viele andere haben sie in allen Lebensbereichen geprägt. Berlin gilt heute gerade auch ihretwegen als bunt, modern und tolerant.
»Zerstörte Vielfalt« hingegen wird deutlich machen, wie gerade Weltläufigkeit ab 1933 brutal zerstört worden war. Tragische, schmerzliche und so oft unwiederbringliche Verluste werden erst im Vergleich wahrhaft deutlich. Doch »ohne Erinnerung keine Zukunft«, meinte Kulturstaatssekretär André Schmitz bei der Vorstellung des bislang wohl einzigartigen Projektes. Dies solle insbesondere »auch den Wert der wieder errungenen Vielfalt für unsere Stadtgesellschaft deutlich machen«.
Die Geschichte der Reichshauptstadt Berlin im Nationalsozialismus sei bislang nicht umfassend untersucht worden, stellte vielleicht sogar etwas überraschend das Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität fest. Im Rahmen des Senats-Kulturprojektes »Zerstörte Vielfalt« werden Michael Wildt und Christoph Kreutzmüller einen Band »Berlin im Nationalsozialismus« herausgeben, kündigte die Universität für den Jahresanfang an.
Weltstädtisches Flair und dessen Repräsentanten hätten die Nazis zwar verachtet und bekämpft, die Stadt insbesondere während der Olympischen Spiele jedoch gerade auch deshalb als Aushängeschild genutzt, heißt es in einer Ankündigung des Institutes. Spannung verspricht auch die Erkenntnis, dass Berlin als jüdische Metropole nicht nur in besonderer Weise von der Judenverfolgung betroffen gewesen sei, sondern auch Möglichkeiten jüdischer Selbstbehauptung geboten habe, die andernorts undenkbar gewesen seien.
Wie tief jüdische Wurzeln in die 775-jährige Berliner Geschichte reichen, machte 2012 als »ausgewählter Ort« der Große Jüdenhof deutlich. Dieser entstand im Zuge der Stadtgründung im 13. Jahrhundert als mittelalterliche Wohnanlage zwischen der heutigen Jüden- und Klosterstraße. Etwa 15 eingewanderte jüdische Familien wohnten dort und bildeten eine kleine Gemeinde.
Auf »Zerstörte Vielfalt« hingegen machen nun »Stolpersteine« zur Erinnerung an die in der Nazizeit verfolgten und gemordeten Mitbürger aufmerksam. Einen Überblick über die vor letzten Wohnorten von Naziopfern verlegten 4000 Steine mit Namen, Geburtsjahren und Stichwörtern zum weiteren Schicksal auf einer Messingplatte soll aus Anlass des Themenjahres das neue Internetportal www.stolpersteine-berlin.de bieten.
Auf diese Weise sind frühe Stadtgeschichte, der für das Themenjahr ausgewählte Zeitraum und die Gegenwart immer wieder auf das Engste miteinander verbunden. Alles hat auf seine Weise mit allem zu tun - vom Gründungsjahr 1237 über die 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Berlin geht erneut in ein lehrreiches Jahr.
Koordination des Themenjahres: Kulturprojekte Berlin GmbH, Klosterstraße 68, 10179 Berlin, themenjahr2013@kulturprojekte-berlin.de
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.