Pillen-Vorrat kostet mehr

Krankenhäuser beklagen Lieferengpässe bei bestimmten Arzneimitteln

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Immer häufiger kommt es zu Problemen mit dem Medikamentennachschub. Der Vorwurf an die Hersteller: Künstliche Verknappung.

Vor Lieferengpässen bei vier bis sechs Prozent der erforderlichen Arzneimittel warnte vor einigen Tagen die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). Die Medikamente stünden nicht oder nicht in ausreichender Menge zur Verfügung, besonders seien bestimmte Krebs-Pharmaka betroffen. Sogar ein Versorgungsnotstand bei den Kliniken wurde heraufbeschworen. Derartige Schwierigkeiten traten in den vergangenen Monaten immer wieder auf.

Im April wies Roche auf eingeschränkte Verfügbarkeit von Pegasys-Fertigspritzen hin. Mit diesem Interferon kann chronische Hepatitis behandelt werden. Im Juni klagten Hessens Apotheker über fehlende Antibiotika, Bronchialpharmaka und Heparinspritzen. Im September warnte der Hersteller Pfizer vor Lieferproblemen mit Daunoblastin, das gegen akute Leukämien eingesetzt wird. Apotheken wurden aufgerufen, sich gegenseitig auszuhelfen. Im Herbst fehlte dann in einigen Bundesländern Grippeimpfstoff.

Die Verantwortung für die stockende Versorgung wird unter anderem den Herstellern zugeschoben. Sie würden, so etwa der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, die Wirkstoffe künstlich verknappen. Außerdem hätten sie Probleme im Management. Auf die zunehmende Verlagerung der Herstellung ins Ausland wies der Bremer Gesundheitsexperte Gerd Glaeske hin. Die kostengünstigen Produzenten sitzen häufig in China oder Indien - dann funktioniere das Just-in-Time-Prinzip aber oft nicht mehr.

Die Pharmaindustrie selbst nennt eine »unerwartet hohe Nachfrage«, Qualitätsprobleme in der Produktion und eingeschränkte Produktionskapazitäten als Ursache für die Probleme. Ebenso spricht sie von zunehmendem Kostendruck - auch durch die Rabattverträge, die von den Krankenkassen durchgesetzt würden.

Die Zahl der Hersteller sinke, die Produktion würde auf preisgünstige Standorte außerhalb der EU verlagert. Andererseits erforderten bestimmte Krebsmittel eine »High-Tech-Produktion«, auf die sich ebenfalls nur wenige Firmen spezialisiert hätten.

Auch einige Krankenhäuser sehen die Gesundheitspolitik mit den Rabattverträgen in der Verantwortung. Kliniken und Ärzte seien zur Verwendung von Billigmedikamenten angehalten, wegen langer Transportwege könnte nicht schnell genug auf Engpässe reagiert werden.

Abhilfe könnte eine Bevorratung mit bestimmten Wirkstoffen seitens der Hersteller oder mit den Medikamenten selbst etwa seitens der Apotheken geschaffen werden. Darum wird aber heftig gestritten: Niemand will die Kosten für eine größere Vorratshaltung tragen, der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA) warnt bereits: »Sollte eine weitgehende Vorratshaltung verpflichtend vorgeschrieben werden, sehen sich Hersteller möglicherweise veranlasst, auf die Zulassung für wenig rentable Arzneimittel komplett zu verzichten«. Vielmehr sollte die Vergütung so ausfallen, dass Apotheken und Herstellern Spielraum für Lager- und Reservekapazitäten bleibt.

Die Herstellerverbände wiesen darauf hin, dass es in den meisten Fällen Alternativen gebe. Aus den betroffenen Krankenhäusern heißt es aber, dass diese oft wesentlich teuerer sind.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft möchte die Hersteller verpflichten, erkennbare Lieferengpässe so früh wie möglich zu melden. Dazu sei der Aufbau eines zentralen Melderegisters nötig. Einen Anfang in diese Richtung machte jetzt die Deutsche Gesellschaft für Onkologische Pharmazie (DGOP). Sie will ab sofort wöchentlich eine Liste mit den Präparaten zusammenstellen, die nicht geliefert werden können. Dieses Verzeichnis soll jeweils an das Gesundheitsministerium und den Gesundheitsausschuss des Bundestages geschickt werden und die Politik zum Handeln bringen. Die Mittel zur Krebsbehandlung könnten besonders häufig nicht anderweitig ersetzt werden.

Das Bundesgesundheitsministerium sieht die Problematik ebenfalls, aber Gespräche dazu sollen erst im neuen Jahr geführt werden. In der Bundesrepublik werden jährlich 1,6 Milliarden Packungen Medikamente abgegeben, im Durchschnitt 4,5 Millionen Packungen pro Tag. Über 91 000 verschiedene Packungen sind verkehrsfähig.

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