Erfolgsbilanz mit Schönheitsfehlern

Statistisches Bundesamt meldet neuen Jobrekord und ignoriert mehr als 800 000 Arbeitslose

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 2 Min.
In der Bundesrepublik waren im vergangenen Jahr so viele Menschen erwerbstätig wie noch nie, meldete das Statistische Bundesamt am Mittwoch. Auch die Zahl der Erwerbslosen soll sich seit 2005 nahezu halbiert haben. Allerdings unterschlägt die offizielle Zählung Hunderttausende.

Am Mittwoch konnte das Statistische Bundesamt (Destatis) mit beeindruckenden Zahlen aufwarten. Demnach waren im Jahr 2012 durchschnittlich rund 41,5 Millionen Personen mit Wohnort in Deutschland erwerbstätig. Das waren 416 000 Personen mehr als ein Jahr zuvor, so das Amt. Damit erreichte die Zahl der Erwerbstätigen im sechsten Jahr in Folge einen neuen Höchststand. Erfreulich: Am stärksten wuchs dabei die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten: Sie stellen mit rund 37 Millionen »auch weiterhin die größte Gruppe«, so Destatis. Kaum Zuwachs gab es bei den Selbstständigen und ihren mithelfenden Familienangehörigen, die rund 4,55 Millionen zählten. Unter ihnen befinden sich 127 000 Freiberufler, die so wenig verdienen, dass sie Hartz-IV-Leistungen beziehen müssen. Erst vor wenigen Tagen hatte der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, angekündigt, dass die Betroffenen künftig kein Hartz IV mehr erhalten sollen. Jeder Vierte von ihnen erwirtschaftete demnach monatliche Gewinne von maximal 200 Euro.

Nach offizieller Lesart ist die Zahl der Erwerbstätigen seit 2005 um 2,66 Millionen Personen gestiegen. Ganz abgesehen davon, dass die Statistik Hunderttausende Erwerbslose einfach nicht erfasst, registrierte man auch beim Bundesamt, dass Anstieg der Erwerbstätigkeit in der zweiten Jahreshälfte »nicht mehr ganz so kräftig wie im Jahr 2011« ausfiel. Die Krise in Europa und den USA macht sich langsam auch hierzulande bemerkbar. BA-Chef Weise erwartet für dieses Jahr gar einen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Allerdings rechnet Weise mit einem geringen Zuwachs von etwa 40 000.

Wie immer, wenn es um Zahlen vom Arbeitsmarkt geht, ist Misstrauen geboten. Offiziell zählten die Statistiker im vergangenen Jahr 2,34 Millionen Erwerbslose. Tatsächlich liegt deren Zahl aber weitaus höher. Bereits im Sommer 2012 hatte die LINKE darauf hingewiesen, dass mehr als 800 000 Arbeitslose in der Statistik gar nicht auftauchten. Dazu zählten mehr als 217 000 über 58-Jährige, die bereits länger als ein Jahr auf Hartz IV angewiesen waren. Da deren Chancen auf Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt gleich Null sind, werden sie nicht als arbeitslos erfasst. Ebenso wenig wie die mehr als 134 000 Ein-Euro-Jobber. Demzufolge lag die Arbeitslosigkeit im Jahr 2012 weit über der Drei-Millionen-Grenze. Hinzu kommt jene »stille Reserve« von Menschen, die sich enttäuscht vom Arbeitsmarkt zurückgezogen haben, jedoch keine unterstützenden Leistungen erhalten. Vorsichtige Schätzungen gehen von rund 500 000 Betroffenen aus.

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