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Gleichschaltung und Gier

Das Mitte Museum beleuchtet den Kunsthandel in Berlin zwischen 1933 und 1945

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine Welle von stinkendem Schmutz überflutet das Land. Man kann nicht mehr atmen. Es ist fürchterlich! Das notiert im Februar 1933 Karl Nierendorf in seinem Tagebuch. In Köln hatte er 1920 mit einer Ausstellung zur Gruppe »Blauer Reiter« als Galerist debütiert, vertrat auch Otto Dix, übersiedelte 1923 nach Berlin und war hier bald erfolgreich, besonders mit seinem jüdischen Geschäftspartner J. B. Neumann. Da er selbst weder Jude noch politisch links engagiert war, liefen die Geschäfte zuerst gut, wäre er nicht auf moderne Kunst spezialisiert gewesen. Doch am »Judenboykott-Tag«, 1. April 1933, bezogen SA-Posten daher auch vor Nierendorfs Galerie Position. Übernahme der Galerie durch ihn allein brachte nur kurz Entspannung: Bei einer Gedächtnis-Ausstellung für Franz Marc 1936 beschlagnahmte die Gestapo die Monografie, trieb den Galeristen nach New York, wo er mit Neumanns Hilfe einen Neubeginn wagte. Sein Nachlass ging an die Guggenheim Foundation über; in Berlin eröffnete seine Witwe 1955 eine noch heute bestehende Galerie Nierendorf.

So verhältnismäßig geradlinig ging es im Berliner Kunstbetrieb zwischen 1933 und 1945 indes kaum je zu. Wie viel Unrecht die Kunsthändler und Galeristen im Nazi-Regime erlitten, darüber informieren im Mitte Museum eine fesselnde Ausstellung sowie der exzellente Begleitkatalog. Anhand von 14 Kunsthandlungen und Auktionshäusern beleuchten sie exemplarisch, wie die NS-Kulturpolitik systematisch gleichschaltete, ganz ausschaltete, was ihrer Ideologie zuwiderlief, brutal in das Kunstgeschehen eingriff. Umringt werden die 14 Aufsteller zu Leben und Werk jener Exponenten für Schau und Versteigerung von Thementafeln zu politischen Hintergründen und den menschlichen Tragödien, die sie nach sich zogen. Vieles erfährt man, was man bislang eher punktuell wusste.

Galt Berlin in den 20er Jahren neben Paris und London als eine der europäischen Kunstmetropolen, auch mit einer lebendigen Szene für den internationalen Handel mit Kunst, so griff ab 1933 das NS-Regime radikal in diesen Bereich ein. Denn von den über 800 in Berliner Adressbüchern eingetragenen Kunsthandlungen, wie sie Tafeln für den Zeitraum 1928 bis 1943 akribisch auflisten, sind mindestens 312 in teils renommierter jüdischer Hand. Sie vor allem treffen Eifer und Gier der Nazis. Den rechtlichen Rahmen steckten ständig schärfere Gesetze und Verordnungen ab. Der »Reichsfluchtsteuer« schon von 1931 für Auswanderer folgen ab 1933 Gesetze zur Aberkennung der Staatsbürgerschaft, zur »Beseitigung der Missstände im Versteigerungswesen«, das berüchtigte »Reichsbürgergesetz« als Teil der »Rassengesetze«, dann Gesetze zur Anmeldung jüdischen Vermögens und zum Einzug »entarteter« Kunst aus Museen, schließlich die »Sühneleistung« der deutschen Juden in Höhe von einer Milliarde Reichsmark als Rache für das Attentat auf einen deutschen Diplomaten. Hinzu treten Hitlers und Görings Gier nach wertvollen Kunstwerken, mit denen sie ihre privaten Domizile schmücken. Und selbst ihre rangniedrigen Potentaten versuchen es ihnen gleichzutun. Hitler ruft ein weiteres Projekt auf den Plan: ein gigantomanisches »Führermuseum« für seine Heimatstadt Linz, vollgestopft mit Kunst aller Genres, die er auch in den Museen eroberter Länder plündern lässt.

Zur kontrollierten Gleichschaltung hatte Goebbels als wirksames Instrument die »Reichskulturkammer« gegründet, zu der auch die »Reichskammer der bildenden Kunst« gehörte. In ihrem Auftrag wurde die Ausübung jüdischer Kunsthändler konsequent behindert und bald gänzlich untersagt. Viele emigrierten, sofern sie die Kosten dafür aufbringen konnten. Ihr Habe ließen sie übereilt versteigern, ihre Unternehmen liquidierte oder »arisierte« man. Einigen wenigen gelang es, vorübergehend weiterzuarbeiten, weil sie im Ausland Staatsverkäufe tätigten und Devisen einbrachten. Zwielichtig erscheint dabei die Rolle jener deutschen Händler, die jüdische Unternehmen übernahmen, sich daran teils rapide bereicherten und dennoch manch Kunstwerk vor dem Nazi-Zugriff bewahren halfen. Das betrifft namentlich Werke der modernen, offiziell als »entartet« eingestuften Kunst: Dix, Grosz, Marc, Barlach und viele andere. Was sich davon verscherbeln ließ, gab der Staat zum Verkauf nur ins Ausland frei; der »minderwertige« Rest, schätzungsweise an die 5000 Exponate, wurde, ein Skandal wie die Bücherverbrennung, im März 1939 in der Feuerwache an der Lindenstraße den Flammen übergeben.

»Gute Geschäfte«, so der doppelsinnige Titel der Schau, hat der Nazi-Staat mit der Kunst gemacht und dabei gute Geschäfte mit seriösen Traditionsfirmen kaltblütig über die Klinge springen lassen. Ihrer gedenkt die Ausstellung mit Name und Adresse, benennt klar die Gewinnler und arbeitet so ein wichtiges, in ihre Zeit eingebettetes Kapitel der jüdischen Berliner Kunst- und Kulturgeschichte auf.

Bis 30.6., Mitte Museum

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