Asylproteste auch im Wahljahr

Flüchtlinge bleiben am Oranienplatz / Großdemonstration im Frühjahr angekündigt

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit Mitte Oktober stehen sie da: Ein Dutzend größerer und kleinerer Zelte sowie Pavillons auf dem Oranienplatz in Kreuzberg. Unzählige Transparente hängen an den Zeltwänden, Bäumen und Geländern. Allesamt verkünden sie die gleichlautende Botschaft: Der Flüchtlingsprotest von inzwischen mehr als 120 Menschen, darunter 17 Kinder, aus allen Teilen der Republik wird auch im Bundestagswahljahr weitergehen.

»Für März planen wir eine große Demonstration vom Oranienplatz zum Reichstag«, verkündet der Flüchtling Patrick aus Kenia. Die Protestierenden luden gestern zu einem Neujahrsempfang. Acht Vertreter stellen sich den Fragen der Journalisten und geben Interviews. Längst hat sich der Campalltag professionalisiert. Anfallende Aufgaben werden in Arbeitsgruppen erledigt. »Als Unterstützer erledigen wir weitestgehend die Organisation des Camps, damit sich die Flüchtlinge auf ihre politische Arbeit konzentrieren können«, erzählt die Unterstützerin Habet. Von Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) haben die Zeltstadtbewohner die Zusage erhalten, auch auf lange Sicht nicht geräumt zu werden.

Es ist Wahlkampf und die Flüchtlinge wollen diese Situation für ihre politischen Forderungen nutzen. Diese haben sich seit dem Beginn der Proteste im Sommer letzten Jahres nicht geändert. Sie fordern weiterhin die Abschaffung der Residenzpflicht sowie keine weitere Unterbringung in Sammelunterkünften. Patrick ist froh darüber, mitzuerleben, was mit den Protesten bisher erreicht wurde. »Die Politik redet endlich über unsere Forderungen«, erzählt er nicht ohne Stolz. Dafür, und dies macht der Kenianer auch deutlich, seien erst zwei längere Hungerstreiks sowie die kurzzeitige Besetzung der nigerianischen Botschaft nötig gewesen.

Frei von Konflikten gestaltet sich der Alltag im Protestcamp und in der seit Anfang Dezember besetzten leerstehenden Gerhart-Hauptmann-Schule an der Reichenberger Straße (Kreuzberg) nicht immer. So kam es Ende des Jahres infolge eines Streits zu einer Messerstecherei, bei der zwei Männer verletzt wurden.

Aus dem Vorfall haben die Flüchtlinge allerdings Konsequenzen gezogen, wie eine junge Kenianerin namens Napoli erzählt. Künftig werde das Schulgebäude ausschließlich als Schlafplatz und Rückzugsort für Familien genutzt. Wer neu dazu komme, müsse sich fortan zunächst am Oranienplatz melden, damit die Campbewohner wissen, wer sich unter ihnen aufhält. »Probleme bleiben bei so vielen verschiedenen Menschen nicht aus«, sagt Napoli. So stammen die insgesamt sechs im Camp lebenden Familien aus Rumänien, Sudan, Iran und Palästina. Hinzukommen zahlreiche Einzelpersonen beispielsweise aus verschiedenen afrikanischen Staaten.

Viele von ihnen waren Opfer von Misshandlungen und Verfolgung. Traumatisierungen sind daher keine Seltenheit, Streitereien deshalb durchaus normal, wie Napoli erklärt. Freudige Momente und die weiterhin breite Unterstützung der Bevölkerung hielten die Gruppe aber zusammen.

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