Der Fluch der Einbäume

Mecklenburg-Vorpommern entdeckt seine Kulturgüter zum zweiten Mal - notgedrungen

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.
Immer wieder machte Mecklenburg-Vorpommern in den vergangenen Jahren mit dem Verlust von Kulturgütern durch unsachgemäße Lagerung Schlagzeilen - nun werden die verbliebenen Sammlungsstücke in Schwerin provisorisch gelagert und erfasst. Ein sachgemäßes Depot wird aber erst in einigen Jahren fertig.

Dass es noch viel zu entdecken gibt in Mecklenburg-Vorpommern, zeigte sich erst im Sommer. Unweit Schwerins wurde ein wahrer Silberschatz ausgegraben. Schon seit Jahren hatten Archäologen gewusst, dass es unter einem bestimmten Acker ein mittelalterliches Gelddepot geben musste: Immer wieder tauchten dort Münzen aus der Zeit um 1200 auf. In den Folgejahren wurden mit Metalldetektoren Hunderte weiterer Münzen gefunden - und nun noch mal ein großer Batzen, insgesamt sind es 1600 Stück.

Der jüngste Coup ist aber auch anderweitig ein Glücksfall für die Finder: Die Silbermünzen bedürfen keiner intensiven Restauration, Pflege oder allzu spezieller Lagerung. Letzteres aber ist seit Jahren das Hauptproblem der Landesarchäologie im Nordosten. Bundesweit beachtete Vorfälle wie der Skandal um die vergammelten Einbäume aus Stralsund im Jahr 2009 oder zuletzt die Posse um die angeschimmelten kostbaren Schriften aus Stralsunder Archiven, die unbesehen verscherbelt wurden, werfen immer wieder ein ungünstiges Licht auf die Wahrer des Erbes im Land - wobei der im Herbst aufgeflogene Bücherhandel mit dem Landesamt für Archäologie und Denkmalpflege nichts zu tun hatte.

Verschimmelt im Bunker

Tatsächlich ist die Einbaumaffäre kein Einzelfall. Dieter Bednorz, der Leiter des Landesamts, hat das nie beschönigt: »Die Einbäume sind nur ein Beispiel für unsere Probleme. Sie sind ein besonders drastisches Beispiel dafür, was passiert, wenn das Landesamt seiner Pflicht nicht ordnungsgemäß nachkommen kann«, erklärte er nach dem Verlust der 7000 Jahre alten Boote. Und tatsächlich bot sich bei der folgenden Untersuchung der Lager ein katastrophales Bild: In Wiligrad etwa verschimmelte in den letzten 15 Jahren u.a. eine wissenschaftliche Sammlung von 20 000 Holzproben aus Schiffswracks und Gebäuderesten in Notbunkern. Nicht nur die Proben selbst, auch die Unterlagen über diese waren betroffen, so dass etwaige Reste ihren wissenschaftlichen Wert verloren.

Die Räumung der Lager, die erst 2011 begann, erwies sich als schwierig: Der Schimmel darin war so aggressiv, dass die Mitarbeiter nur mit Schutzanzügen eingesetzt werden konnten. Die Liste ließe sich fortsetzen: Im Schweriner Landeshauptarchiv nisteten Mäuse in historischen Dokumenten. Eingestürzte Decken, vergessene Standorte, unbeheizte, unbelüftete Kammern - alles im 21. Jahrhundert. Nach der Aktion in Wiligrad sagte Landesamt-Chef Bednorz sarkastisch, dies hätte man einfacher haben können: Durch die dauerhafte Einstellung zweier Restauratoren, die in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten die verstreuten Bestände im Blick gehabt hätten.

Schätze in der Lagerhalle

Einen Ausgangspunkt hat der Platzmangel im Nordosten in der hektischen Auflösung des Museums für Ur- und Frühgeschichte, das sich seit den 1950er Jahren im Schweriner Schloss befunden hatte. 1992 musste es dem Landtag weichen - bis heute ohne räumlichen Ersatz. Zudem wurden beim Bau der Autobahn A 20 quer durch das Land zahlreiche Funde gemacht, die in die Lager drängten. Bis zu der Einbaum-Affäre geschah dann nichts mehr.

Das hat sich nun erst geändert: Mittelfristig entsteht ein zentrales Depot an der Schweriner Stellingstraße, das 2010 mit 35 Millionen Euro veranschlagt wurde und 2012 begonnen werden sollte. Inzwischen ist von Baubeginn 2015 und 50 Millionen Euro die Rede, doch immerhin ist der Auftrag vergeben.

Eröffnet werden kann das Depot allerdings frühestens 2017. Kurzfristig wird daher eine Lagerhalle in einem Schweriner Gewerbegebiet zum Hort der Kulturschätze. Dort werden derzeit nach und nach die Gegenstände gesammelt, die in dem Depot sachgerecht gelagert und aufgearbeitet werden sollen. Zigtausend Stücke werden erwartet. Die sollen erfasst, wenn möglich und nötig behandelt und digital archiviert werden. Doch was dabei herauskommt, ist selbst für die Experten spannend: Bednorz gab schon öffentlich zu, dass niemand mehr genau weiß, wo sich welche Gegenstände befinden - und in welchem Zustand sie sind.

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