Outing oder PR-Gag?

Zwei russische Fußballer sorgen mit Internetfotos für allerlei Spekulationen

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 4 Min.

Zwei russische Fußballprofis haben in der Winterpause für reichlich Aufregung gesorgt: Schwulen- und Lesbenverbände interpretieren im Internet publizierte Bilder von Nationalspieler Alexander Kokorin aus Moskau und Pawel Mamajew als Outing.

Zwei Muskelpakete halten sich eng umschlungen in den Armen. Bis zum nächsten Kuss sind es nur noch Bruchteile von Sekunden. Darunter steht »Lublju ewo«: Ich liebe ihn. Andere Bilder sind ähnlich eindeutig. Sie stammen aus dem Miami-Urlaub zweier russischer Balltreter: Nationalspieler Alexander Kokorin, 24, von Dynamo Moskau und Pawel Mamajew, der beim Erzkonkurrenten - dem Armeesportklub ZSKA kickt.

Einer der Akteure - die russische Fachpresse ist sich bisher nicht einig wer - platzierte die Bilder bei Vkontakte.com - dem russischen Facebook-Analog - und trat damit einen Sturm los. Homosexualität ist in Russland zwar nicht mehr strafbar wie zu Sowjetzeiten, wird von weiten Teilen der Gesellschaft aber nach wie vor geächtet. Outings, noch dazu von Prominenten, haben daher Seltenheitswert. Erst kürzlich hatte der Fanklub des russischen Fußballmeisters Zenit St. Petersburg - landesweit größte Vereinigung von »Fanaty« - verlangt, für den Verein sollten künftig nur noch weiße und heterosexuelle Profis spielen.

Doch kann man die Bilder überhaupt als Outing interpretieren? Ja, meinen Schwulen- und Lesben-Verbände. »Sie werden glücklich miteinander werden«, hoffen die Macher des Internet-Portals Gaystarnews und zitieren mit unverkennbarer Genugtuung aus den fast ausschließlich positiven Reaktionen der europäischen Öffentlichkeit. Die beiden Akteure selbst verweigerten bisher jene eindeutige Stellungnahme, auf die die Szene so inbrünstig hofft.

Zwar baute »Sport-Ekspress« Kokorin in einem großen Interview, das am 27. Dezember erschien, goldene Brücken dazu. Doch der Kicker betrat sie nicht und verschanzte sich auch bei sehr konkreten Suggestivfragen hinter Allgemeinplätzen. »Es heißt immer, Fußballer könnten sich vor Frauen nicht retten«, provozierte ihn der Reporter. Das, so Kokorin, komme stets auf den jeweiligen Fußballer an. »Einige von uns sind sogar verheiratet.« Aber er lese doch wohl die Skandalnachrichten zu seiner Person, hakte der Frager nach. »Nein«, sagte Kokorin, »Ich nicht, aber meine Eltern und die leiden sehr darunter.«

Das war’s auch schon, danach ging es um die Kindheit, die für Kokorin mit zehn zu Ende war, als er ins Internat der Sportschule einzog - »schrecklich« - um das erste Tor, das erste Autogramm. Immerhin stellte das Blatt zum Interview auch das Kuschelbild ins Netz. Zusammen mit der Liebeserklärung, die laut Kokorin allerdings nicht dem Kollegen, sondern Miami gilt: der Stadt, russisch: gorod und deswegen männlichen Geschlechts.

Ob das gut geht? Sobald die zehntägigen Neujahrsferien zu Ende sind, Zensoren und andere mediale Tugendwächter aus dem Koma erwachen, könnte es massiven Ärger geben. Für die Fußballer und für die Fußballzeitung. Der Apostel Paulus hatte vor knapp zweitausend Jahren gleichgeschlechtliche Liebe als »widernatürlich« und »Unzucht« verdammt. Auf ihn berief sich Anfang letzten Jahres Wladimir Milonow, Mitglied der Putin-Partei »Einiges Russland«, als er im Petersburger Stadtparlament einen Entwurf einbrachte, der Propaganda von Pädophilie und Homosexualität für gleichermaßen verwerflich erklärt und untersagt. Im Frühjahr zog das Parlament mit einem nationalen Gesetz nach. Mit einem weiteren, das am 1. September in Kraft trat, sollen Kinder und Jugendliche vor schädlichen Informationen - dazu gehört auch die Schwulen-Thematik - geschützt werden. Verstöße werden mit Entzug von Sende- oder Drucklizenz geahndet.

Die Online-Öffentlichkeit ist daher weitgehend ahnungslos, dafür brodelt die Blogosphäre. Nahezu die Hälfte der Netz-Tagebuchschreiber beglückwünscht die Fußballer zu ihrem »heroischen Outing« wie ein Fan schreibt. Fast ebenso viele wünschen, »Gott der Herr möge Pech und Schwefel auf die Häupter der Frevler regnen lassen«.

»Sport-Weekend« dagegen hält das vermeintliche Outing für einen PR-Gag. »Männer«, heißt es in einem Kurzkommentar, »habt ihr noch alle Tassen im Schrank? Wir kennen Euch doch als ganze Kerle. Aber macht Euch nichts draus, alles wird gut. Spielt weiter, schießt Tore für eure Klubs. Damit liefert ihr den besten Beweis dafür, dass mit eurer männlichen sexuellen Orientierung alles in Butter ist.«

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