Sagen wir mal: zögerlich

Auftakt des Verdi-Jahres: »Nabucco« in Leipzig

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

In der Mailander Scala lieferte »Lohengrin« den Auftakt ins Jubeljahr - Wagner in Italien. In Wagners Geburtsstadt Leipzig indessen ist es »Nabucco« - Verdi in Deutschland. Beide Komponisten sind vor 200 Jahren geboren worden. Und immerhin ist die Oper Leipzig unter ihrer neuen Intendanz noch in der Lage gewesen, Wagners Frühwerk »Feen« in Koproduktion mit Bayreuth ins Programm zu nehmen, und nun doch mit einem eigenen »Ring des Nibelungen« zu beginnen.

Mit dem von Dietrich Hilsdorf inszenierten »Nabucco« also hat Leipzig aber jetzt das Verdi-Jahr in Deutschland eröffnet - in einem seit Langem mal wieder sichtbar ausverkauften Haus. Wenn man will, kann man das als sympathischen Gruß aus dem Land Wagners an jenes von Verdi nehmen. Vielleicht hilft ja die Beliebtheit Giuseppe Verdis hierzulande mit, den Untergang der Oper in ihrem Ursprungsland etwas zu verlangsamen.

Nach dem jahrelangen Personalhickhack in und um die Oper Leipzig ist allerdings die Vorstellung, dass sich Gewandhauschef Riccardo Chailly, der italienischen Pult-Weltstar von der anderen Seite des Augustusplatzes, noch mal in den Graben der Oper verirrt, um dort einen »Nabucco« mit internationalem Referenzniveau hinzulegen, ein aussichtsloser Wunschtraum. Nicht mal der Chef des Opernhauses, Ulf Schirmer, übernahm diesen programmatischen Jahres-Auftakt. Sein Stellvertreter Anthony Bramall ließ allerdings keine Orchesterwünsche offen. Er riss mit, behandelte Verdis gelegentliches Humtata zwischen den Nummern mit gebotenem Ernst und lieferte eine gut geeredete »Italianita« ab, die im Ganzen mitzureißen vermochte.

Der Star des Abends war der exzellent von Alessandro Zuppardo einstudierte Chor. Auch die Protagonisten überzeugten insgesamt. Wobei der kraftvoll strahlende Tenor aus Uruguay, Gaston Rivero, in der Rolle des von der echten und der vermeintlichen Tochter Nabuccos geliebten Hebräers Ismaele herausstach. Aber auch Markus Marquardt war ein hochsouveräner Nabucco - mit Stimmgewalt und der Fähigkeit, das Gebrochene des zeitweise dem Wahnsinn verfallenen Königs glaubhaft zu machen. Amarilli Nizza lieferte eine auf Dramatik setzende Abigaille und Jean Broekhuzien die erst als Geisel gefangene, dann zum Judentum konvertierte Geliebte Ismeles und Tochter Nabuccos, Fenena. James Mollendorf ist ein solide bewährter Babylonier-Priester und Olena Tokar schafft es, die Kleinstpartie der Zaccaria-Gefährtin Anna aus dem Schatten des Hohepriesters zu rücken und Lust auf mehr von ihr zu machen. Arutjun Kotchinian ist ein originell timbrierter, szenisch präsenter Hebräer-Anführer Zaccaria.

Das Bühnenbild von Dieter Richter setzt auf eine Theater-im-Theater-Bühne. Mit beweglichem Portal und einem Zwischenvorhang mit der Projektion eines prunkvollen Barock-Saals. Was dabei an Theaterpotenzial der Politik gemeint sein mag, vermischt sich mit den Assoziationen, die die Entstehungszeit-Kostüme von Renate Schmitzer an die italienischen Verhältnisse von Besetzung und Freiheitskampf in den Jahren um und nach der »Nabucco«-Uraufführung (1842) hervorrufen. Doch in dieser Vermischung verliert sich die Brisanz.

Wenn in einer Oper ein per Dekret angeordneter Völkermord an den Juden vorkommt (wie die Babylonier es wollen und beinahe auch umsetzten), dann ist es schon ziemlich - sagen wir mal: zögerlich - wenn man das in eine Art intellektuelles Theater-Backstage verlegt. Es muss ja nicht gleich der Panzer durch die Tempelwand krachen wie einst in Peter Konwitschnys umwerfender Inszenierung an der Dresdner Semperoper - oder der Gefangenenchor einen solchen Rückenschauer verursachen wie bei Vera Nemirova in Magdeburg, wo plötzlich die Türen im Saal auffliegen und wir wirklich mitten drin sind in dieser Geschichte. Aber etwas mehr wirklich packendes, eindeutig politisches Theater als das von Hilsdorf darf es schon sein.

Sei's drum. Der Jubel in Leipzig war ungeteilt.

Nächste Vorstellung: 11.1.

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