Tora und Toleranz

Ausstellung zu Moses Mendelssohn im Centrum Judaicum

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 4 Min.

Den Menschen aus seinen sozialen, kulturellen und religiösen Zwangsbindungen zu befreien, war das hehre Ziel der europäischen Aufklärungsbewegung. Die jüdische Aufklärung (Haskala) war ein Teil dieses universalistischen Strebens nach geistiger und individueller Emanzipation. Der Vater der Maskilim (Aufklärer) und Wegbereiter der Haskala war der hoch angesehene Philosoph Moses Mendelssohn. Über Leben und Werk des großen jüdischen Denkers informiert die Ausstellung »Moses Mendelssohn: Freunde, Feinde und Familie« im Repräsentantensaal der Neuen Synagoge / Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße in Mitte. Die Schau widmet sich vor allem der von Mendelssohn philosophisch begangenen Gratwanderung zwischen gesetzestreuem Judentum und bürgerlicher Emanzipation. Das sich hieraus ergebene Spannungsfeld wird ebenfalls thematisiert. So gilt Moses Mendelssohn für die einen als Vordenker der Gleichberichtigung, während sein Name für andere teilweise bis heute für den Verfall des traditionellen Judentums steht.

Der am 1729 im anhaltinischen Dessau als Sohn eines Thorarollenschreibers geborene Moses Mendelsohn wies bereits in jungen Jahren eine außergewöhnliche geistige Begabung au f. Schon früh beschäftigte er sich mit der Philosophie des mittelalterlichen Judentums, der deutschen Literatur sowie mit dem Lateinischen und anderen Sprachen. Der Rabbiner und Lehrer Mendelssohns, David Fränkel, holte den Jungen bereits mit dreizehn Jahren nach Berlin. Die Hauptstadt Preußens war von nun an der Mittelpunkt des Lebens und Schaffens Moses Mendelssohns. Unter dem Einfluss Gotthold Ephraim Lessings, mit dem ihn zeitlebens eine enge Freundschaft verband, kam Mendelssohn Mitte der 50er Jahre des 18. Jahrhunderts erstmals mit den Ideen der Aufklärung in Kontakt. Er war fortan häufiger Gast in den bekannten Berliner Literatensalons. Die dortigen politisch-philosophischen Diskussionen schärften sein kritisches Denken.

Im Jahre 1763 gewann Moses Mendelssohn für sein Werk »Über die Evidenz in metaphysischen Wissenschaften«, in dem er sich für die Vereinbarkeit von religiöser Toleranz und der beständigen Einhaltung religiöser Vorschriften ausspricht, den 1. Preis der Berliner Akademie der Wissenschaften.

Obwohl ihm der damalige König von Preußen, Friedrich II., kurz darauf den Status eines »außerordentlichen Schutzjuden« verlieh, verweigerte ihm selbiger acht Jahre später die Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften. So wird am Rande der Ausstellung auch die antijüdische Zuwanderungspolitik Friedrichs des II. thematisiert, die mittels mehrerer Edikte die Einwanderung von Juden stark begrenzen sollte und so gar nicht zum Bild eines aufgeklärten Herrschers passen will.

Mendelssohn ließ sich von dieser Schmach aber nicht von seinem Lebenswerk abhalten und begann 1774 mit der Übersetzung des Pentateuchs. 1780 erschien der 1. Band seiner Toraübersetzung auf Deutsch in hebräischen Buchstaben. Sie trägt den programmatischen Titel »Netivot Schalom« (Pfade des Friedens). Die restlichen vier Bände sowie die Übersetzung der Psalmen folgten. Ganz im Sinne religiöser Offenheit und Toleranz sollte es von nun auch denjenigen möglich sein, die heiligen jüdischen Schriften zu lesen, die des Hebräischen nicht mächtig waren.

Der damit beginnenden Ausbreitung der Ideale der Haskala traten die geistigen Führer des traditionellen Judentums entgegen. Die Ausstellung stellt einige bekannte Kritiker und ihre Einwände vor. Ein bedeutender Gegner der jüdischen Aufklärung war der Preßburger (Bratislava) Rabbiner und Mitbegründer der Neo-Orthodoxie, R. Mosche Safer, der sich gegen jegliche Veränderung jüdischer Traditionen aussprach. Auch die Vertreter der gerade in Osteuropa entstandenen mystischen Bewegung der Chassidim (die Frommen) standen den Reformversuchen Mendelssohns und seiner Anhänger feindlich gegenüber.

Rabbi Nachmann, ein wichtiger zeitgenössischer Vertreter des Chassidismus, verurteilte die Schriften der Aufklärer scharf. »Wer die Bücher der Philosophen liest, der öffnet sein Herz der Zweifelsucht und dem Unglauben«, so sein Urteil. Moses Mendelssohn stellte sich bis zu seinem Tod im Jahre 1786 stets seinen Kritikern, war er doch der festen Überzeugung, dass nur durch die offene Diskussion ein Austausch gegenteiliger Meinungen möglich sei. Beigesetzt wurde der Universalgelehrte auf dem Jüdischen Friedhof in der Großen Hamburger Straße, wo sein Grabstein bis heute zu sehen ist.

Bis 7.4., Centrum Judaicum, Oranienburger Str. 28-30, tägl.10-18 Uhr, Fr. 10-14 Uhr, Sa. geschl.

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