Der erste Guerillero

Havannas Christus-Statue wurde restauriert

  • Leo Burghardt, Havanna
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach einem Jahr »sorgfältigster Arbeit mit den edelsten uns zugänglichen Materialien«, wie der leitende Restaurator Carlos Bauta versicherte, erstrahlt der Christus von Havanna wieder in all seiner »Würde und Pracht«.

Kardinal Jaime Ortega, der Erzbischof von Havanna, segnete die 20 Meter hohe und 320 Tonnen schwere Skulptur kürzlich erneut. Sie sei neu, wie so manches »in vielerlei Hinsicht« neu sei in Kuba. Zum Beispiel in der Wirtschaft oder »hinsichtlich der Präsenz des religiösen Glaubens in der Kultur«.

Auf dem Hügel an der Hafeneinfahrt, auf dem sich der Christus mit einem einzigartigen Blick über einen großen Teil der kubanischen Hauptstadt erhebt, waren auch der päpstliche Nuntius Bruno Musaró und Oberst Pérez anwesend. Pérez ist der Direktor des Historisch-Militärischen Museums La Cabaña, auf dessen Gelände - damals eine Festungsanlage - die Christus-Statue am 25. Dezember 1958 eingeweiht wurde. Jilma Madera, die Schöpferin der Plastik, hatte damals die Ausschreibung gegen die Bedenken des einheimischen Klerus gewonnen. Ihr schwebte nämlich vor, dem Gesicht dieses Jesus »nicht den üblichen Ausdruck von Fügsamkeit und Langmut« zu verleihen, nicht sanft sollte es sein, sondern kühn, irdisch. Ihr Jesus war »ein Mann mit großen sozialen Werten, der mit den Füßen auf der Erde steht, eben ein Erlöser«.

Jilma, die vor 12 Jahren 84-jährig in Havanna starb, wurde seinerzeit denunziert, sie habe den ersten bärtigen Guerillero in Kubas Hauptstadt eingeschmuggelt, aber Schaden entstand ihr daraus nicht. Die Guerilleros aus Fleisch und Blut näherten sich bereits den Toren Havannas. Ernesto Che Guevara richtete sieben Tage nach der Einweihung der Skulptur keine 500 Meter entfernt seine erste Kommandantur in der Hauptstadt ein.

Immerhin konnte Frau Madera ihr Werk, auf das sie Zeit ihres Lebens stolz war, in Rom ausführen, mit dem feinsten Marmor der Welt aus Carrara und der Unterstützung von 20 italienischen Marmoristen. Schließlich wurde das Standbild mit dem Segen des Papstes in 67 Blöcken nach Kuba verfrachtet und aufgestellt. Die Figur mit leicht erhobenem rechten Arm und gekrümmtem Zeigefinger, scheint die Menschen zu warnen: »Passt auf, die Welt ist voller Fallen!«

Frau Madera gestand in einem Interview kurz vor ihrem Tod, sie verstehe sich nicht als Katholikin, aber sie glaube wie die Mehrheit aller Kubaner, dass es »da noch etwas gibt, das über allem steht«. Jesus Christus, »einen Mann, der seiner Zeit voraus war«, hat sie verehrt. In den Sockel deponierte sie Zeitungen des Jahres 1958 und einige Goldmünzen.

Seither musste die Statue nicht nur die üblichen Schädigungen durch die Umwelt über sich ergehen lassen, sie blieb auch ungerechterweise nicht vom Ingrimm der höheren Mächte verschont. Zwischen 1961 und 1986 lädierten Blitzeinschläge dreimal ihr Haupt, worauf sich die weltlichen Autoritäten schließlich entschlossen, einen profanen, so gut wie möglich versteckten Blitzableiter anzubringen. Ebenso hinterließen verliebte Schmierfinken und die kubanische Gastfreundschaft missbrauchende Touristen ihre Spuren auf dem Sockel. Er wurde daraufhin mit einem Kettengitter und vom Personal der staatlichen Wach- und Schließgesellschaft SEPSA geschützt.

Die Idylle auf dem Hügel, der kleine Park, der Kiosk mit Imbiss und nichtalkoholischen Getränken sowie eben der wunderbare Rundblick zu Füßen des schneeweißen Bärtigen locken tagtäglich bis spät in die Nacht Kubaner und Gäste in diese ansteckend friedliche Umwelt. Es sei denn, aus dem Kiosk wird gerade wieder einmal der unermüdliche, jedoch vergebliche Kampf der Umweltschützer und einer Bürgerminderheit für das Menschenrecht auf Stille musikalisch brutal unterlaufen. Auf Lärm muss man in Kuba nun mal immer und überall gefasst sein.

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