Wege in die Überflüssigkeit

Nach der Wahlniederlage in Niedersachsen diskutieren die Flügel der Linkspartei über die Ursachen

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 5 Min.

Nach der Niederlage von Niedersachsen wird in der Linkspartei über die Ursachen des Drei-Prozent-Ergebnisses diskutiert. Während auf der bundespolitischen Bühne dazu oft Hinweise auf sich angeblich selbsterfüllende Umfrage-Prophezeiungen und „mediales Sperrfeuer“ zu hören waren, steht auf den Flügeln der Partei die Bündnisfrage im Mittelpunkt. Oder besser formuliert: Die Frage, ob die im Wahlkampf zum Zwecke der Druckerhöhung gegenüber SPD und Grünen ausgesprochenen Angebote zur Zusamenarbeit die Ursache des Niedergangs in Niedersachsen waren oder nicht.

„Aufhören mit den ständigen Regierungsofferten“, hat zwei Tage nach dem Wahlsonntag die Antikapitalistische Linke AKL in die Partei hinein ausgerufen, „Stellvertreterpolitik“ bringe es nicht. Der Ausgang der Abstimmung zwischen Cuxhaven und Harz sei „kein gutes Zeichen für die Auseinandersetzung der nächsten Monate“ - und unter dem Strich Ergebnis einer falschen Präsentation der Linkspartei in der Öffentlichkeit. Für die AKL gibt es „keine ,Mehrheit links von der Mitte‘“, alle entsprechenden Äußerungen von Linkspolitikern seien einem „Regierungsfetischismus“ geschuldet, der Wähler eher abstoße. Notwendig sei vielmehr die „Betonung des eigenständigen Profils“, eine Linkspartei also „mit klaren Positionen, ohne ein Lager auf ihrer Seite, sondern im Kampf gegen den Mainstream und das Kartell der anderen Parteien und ihrer Medien“.

"Dem Peiniger an die Füße gehängt"

Ähnlich hat sich Ida Schillen vom Netzwerk „Freiheit durch Sozialismus“ geäußert, das frühere Mitstreiter der Antikapitalistischen Linken geschaffen haben. „Trotz des Ausgrenzungskurses der SPD“ hätten Spitzenpolitiker der LINKEN „die verhängnisvolle Option“ einer von ihrer Partei unterstützten SPD-Regierung ins Spiel gebracht. „Diese Strategie war noch nirgends erfolgreich“, so Schillen. „Wer sich dem Peiniger an die Füße hängt, wird als schwach empfunden.“ Kritik wird hier auch an der Parlamentsarbeit geäußert - zwar sei der schnelle Einzug in die Landtage im Westen „Ausweis des Erfolges“ der Linkspartei gewesen, da sich aber die Partei „emsig unter der Parlamentsglocke“ eingerichtet habe, sei so auch der „Absturz“ beschleunigt worden.

Aber zurück zur Antikapitalistischen Linke. Für sie liegt die Grenze, an der politische Positionen ihren Aggregatzustand von „klar“ zu „verwechselbar“ ändern, im Erfurter Parteiprogramm der LINKEN. Die Zweitstimmen, die in Niedersachsen noch zusammenkamen, werden als Signal interpretiert, „dass 112.000 Menschen“ für eine „Vergesellschaftung der Großbetriebe, für sozialistische Demokratie, für das Stellen der Eigentumsfrage, für grundlegende Gesellschaftsveränderung gestimmt haben“.

"In Richtung 1 Prozent oder drunter"

Diese Einschätzung hat inzwischen zu einer kleinen Diskussion mit der Sozialistischen Linken geführt, dem gewerkschaftsorientierten Flügel der Partei. In einem inzwischen veröffentlichten Emailwechsel zwischen Carsten Albrecht von der AKL und dem Wahlalternative-Gründer Ralf Krämer, fragt Letzterer: „Glauben die das wirklich? Ich würde wetten dass die allermeisten unserer WählerInnen nicht mal wissen, was wir im Erfurter Programm fordern. Das gilt ja selbst für viele Mitglieder.“ Für Krämer zeugt die Nachwahl-Erklärung der Antikapitalistischen Linken „nur von Realitätsverlust und völligem Nichtbegreifen wahlkampfpolitisch gebotener Manöver“. Mit der Devise „Hauptsache maximal radikale Forderungen, dann wird die geringe WählerInnenzahl dadurch aufgewogen, dass die verbliebenen aber besonders hart sind“, komme die Linkspartei auf den sicheren Weg „in Richtung 1 Prozent oder drunter, so wie früher“.

Albrecht hat daraufhin gefordert, „rhetorisch ein wenig abzurüsten“, worauf Krämer daran erinnerte, dass es die Antikapitalistische Linke gewesen sei, die mit der „Aufrüstung angefangen“ habe. Unter dem Strich gebe es für die Linkspartei „zwei Wege in die Überflüssigkeit: den der Unterordnung unter prokapitalistische Kräfte, und den der linksradikalen Selbstisolierung a la AKL“. Für Krämer, der maßgeblich auch an den Programmen der Linkspartei mitgeschrieben hat, zeigt sich in der Debatte „eine reale Kontroverse“ darüber, wie die Linkspartei im Wahlkampf und in den außerparlamentarischen Kämpfen positioniert werden soll - und zwar vor dem Hintergrund der realen gesellschaftlichen Situation.

Krämer erscheint es „nicht sinnvoll, bei schwachen Bewegungen und einer links blinkenden SPD eigenes Profil durch verschärften Linksradikalismus gewinnen zu wollen“. Das werde „eher nach hinten losgehen, weil damit die Schwankenden, die wir gewinnen müssen, gerade von uns weg getrieben werden“. Die zwar kleinen aber bestehenden Differenzen zwischen Union und SPD müssten aufgegriffen werden - indem man zeige, „dass die SPD unglaubwürdig und unernsthaft ist und konkret politisch unzuverlässig oder konkret falsche unsoziale und militaristische Politik macht“. Falsch sei es aber, „sie pauschal als dieselbe Scheiße“ anzusehen und jede Kooperation mit ihnen per se auszuschließen.

"Der Weg seit Göttingen"

Ähnlich sei es mit Blick auf die Stammwähler der Linkspartei. Wenn sich zum Beispiel inzwischen auch andere Parteien für einen gesetzlichen Mindestlohn aussprechen, die Linkspartei also ein so genanntes Alleinstellungsmerkmal verliere, sei es zwar einerseits richtig, den Unterschied bei der Höhe der flächendeckenden Lohnuntergrenze deutlich zu machen - zugleich aber dabei zu berücksichtigen, dass die Forderung der LINKEN sich „auf breite und wachsende Zustimmung in Gewerkschaften und bei vielen Beschäftigten stützen kann“, man also nicht zu einer Zielmarke greift, „bei der uns die meisten für bekloppt erklären“.

Die Sozialistische Linke, deren Bundessprecherrat Krämer angehört, hatte zuvor ebenfalls eine Erklärung zum Wahldebakel in Niedersachsen veröffentlicht. Das Ergebnis habe gezeigt, dass man vertrauen schneller verspielt als man es wieder gewinnt - und dass die Linkspartei „noch erheblich mehr Zeit brauchen“ werde, bis sie wieder an frühere „Erfolge anknüpfen können“. Gleichzeitig wird der „Weg seit Göttingen“ als der richtige beschrieben: die Partei solle weiterhin „kommunizieren, dass ein Regierungswechsel nicht an der LINKEN scheitert“. Allerdings fordert die Sozialistische Linke, dass Rot-Grün „stärker herausgefordert“ wird: „Nicht indem wir unsere Forderungen höher schrauben, sondern indem wir die reale Politik von Rot-Grün und Schwarz-Gelb und die Unglaubwürdigkeit ihres Spitzenpersonals angreifen.“

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