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Die Keller sind wieder trocken

Bürgerinitiative »Müggelspree« sieht Hochwasserrisiko aber noch nicht beseitigt

  • Rainer Funke
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Himmel hat es gut gemeint mit den Anwohnern der Müggelspree: Es regnete voriges Jahr weitaus weniger als anno 2010. Damals waren Teile des Landkreises Oder-Spree sintflutartig überschwemmt worden. Nun aber konnte der Grundwasserspiegel sinken. Die damals vollgelaufenen Keller sind wieder einigermaßen trocken. Die Spree nahm das Wasser auf, das Wiesen und Äcker überflutet hatte. Freilich bleibt es modderig. Was dennoch wächst, ist fürs Vieh kaum zu gebrauchen. Der Störitzsee und andere Gewässer gaben die Ufer wieder frei und hinterließen unzählige tote Bäume.

Es scheint vielleicht trotzdem alles gut zu werden, zumal der Berliner Senat nach einer Analyse zum Hochwasserrisiko sich darauf festlegte, dass die Flächen entlang der Müggelspree auf 1,8 Quadratkilometer und an den Gosener Wiesen auf 2,5 Quadratkilometer statistisch nur einmal in 100 Jahren überschwemmt werden. So steht es dieser Tage in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage. Das sollte die mindestens 1500 bisher betroffenen Bewohner zwischen Gosen, Spreenhagen, Grünheide, Hangelsberg und Fürstenwalde beruhigen. Sie müssten nach amtlich überschlägigem Durchschnitt für 200 Jahre Ruhe haben. Viele Bürger können allerdings die Botschaft der Statistik nicht ernst nehmen. Weshalb sie vor zwei Jahren die »Bürgerinitiative Müggelspree« gegründet haben. Der Pegel ist nach ihrer Messung in Spreeau - 600 Meter vom Fluss entfernt - seit fünf Wochen wieder mal um fast 30 Zentimeter gestiegen. Zudem hat sich auch der mittlere Wasserstand der Spree erhöht. Zwar gab es in der Gegend immer Hochwasser, zumeist im Februar oder März. Es reichte bis an den Rand der Durchfahrtstraßen, wie die Älteren wissen. Nach zwei Wochen war der Spuk aber meist vorüber.

Damals war die Spree noch so tief, dass das System der Vorfluter und der Entwässerung der Auen gut funktionierte. Der Grundwasserspiegel schwankte in engen Grenzen. »Ab August 2010, als es längere Zeit überstark regnete, gab es erste Anzeichen eines Hochwassers von abnormalem Ausmaß«, sagt Lutz Holst von der Bürgerinitiative. Bei der Suche nach Ursachen stieß man auf merkwürdige Blockaden seitens der Politik und der Bürokratie. Denn im Jahr 2001 wurde die Spree auf ihre chemische und ökologische Qualität hin untersucht. Man ging aufgrund von Prognosen davon aus, dass es tendenziell in der Region trockener werden würde als je zuvor. Um negative Auswirkungen auf Schifffahrt, Grundwasser und landwirtschaftlich genutzte Flächen zu verhindern, hielt man die Spree bewusst auf hohem Pegel.

Dies hat jetzt zur Folge, dass es nicht mehr zur Vorflut, also zur Entwässerung, kommen kann, meint Holst. Bei Nachfragen kam heraus, dass die Behörden nicht einmal wissen, wie tief die Gewässer in den einzelnen Abschnitten sind und wie groß das Abflussvermögen ist.

Das Problem erweist sich bis heute als in sich kompliziertes Konstrukt von Versäumnissen, Ausflüchten, Fehlentscheidungen, ungenau definierter Verantwortlichkeit, Leugnung offenkundiger Fakten, nicht bewilligter Akteneinsicht, Realitätsverweigerung, Ignoranz und fragwürdigen Vorstellungen von intakter Natur, in der der Mensch nicht mehr vorkommt - dieses Eindrucks kann man sich in der Bürgerinitiative nicht erwehren. Und wenn gelegentlich doch Versäumnisse zugegeben werden, heißt es im gleichen Atemzug, man habe weniger Leute und weniger Geld als früher.

Natürlich spielt das Wetter eine Rolle. Doch seit auf der Müggelspree Motorboote nicht mehr fahren dürfen, die bis dahin den Grund ständig verwirbelt und damit das Wachstum der Pflanzen behindert hatten, Buhnen und Uferverwallungen abgebaggert und Altarme angeschlossen wurden, staut sie sich. Hier wäre der Wasserverband in der Pflicht, die Gräben und die Spree zu entkrauten. Der Sinn des Entwässerungssystems war, bei sinkendem Pegel das zurückfließende Wasser etwa in den Dämeritzsee zu leiten. Bei anrückendem Hochwasser wurden die Wehre geschlossen. Dadurch drängte der Fluss lediglich über das Grundwasser in die Wiesen, was sich natürlich länger hinzieht. Man öffnete die Wehre wieder, wenn die Fluten zurückgingen, damit das Wasser wieder rasch abfließen konnte.

Die Behörden sträuben sich allerdings, den alten Zustand wieder herzustellen. Ohnehin dürfe man das nicht allein, heißt es. Das Bundeswasserstraßenamt müsse mitspielen. Denn Wasser aus der Müggelspree fließe auch in den Oder-Spree-Kanal. Wenn es abgeleitet würde, steige der Pegel dort und die Schiffe kämen nicht mehr unter den Brücken durch. Früher gab es da keine Probleme. Der Abfluss von 28 Kubikmeter pro Sekunde, der nötig wäre, damit kein Hochwasser kommt, wird nicht mehr erreicht. Bereits wenn es bloß vier Kubikmeter pro Sekunde erreicht sind, beginnt die Spree bei Burig/Neu-Zittau auszuufern.

Die Bürgerinitiative führte Gespräche mit dem Umweltministerium. Die Initiative sah es zunächst als ersten Erfolg an, dass vieles amtlich bestätigt wurde, was man als Ursache für Hochwasser gesehen hatte. Es wurde angekündigt, Abhilfe schaffen zu wollen. Das geschah, als die Keller noch arg voll waren. Ein paar Monate später, im Februar 2012, als das Wasser gewichen war und lediglich noch auf den Wiesen stand, schwand anscheinend auch der Druck auf die Behörden, sagt Holst. Man wollte nichts mehr davon wissen, Pegelstände in dichterem Abstand messen zu wollen, auch nichts mehr davon, auszubaggern. Sondern man experimentiert nun am Ortsausgang Spreewerder mit vier künstlich angelegten Teichen, auf dass von dort das Wasser aus überfluteten Wiesen ins Grundwasser geht.

Politik und Behörden sind wieder in Lethargie versunken, glaubt man in der Bürgerinitiative. Man müsse erst, wie von der EU gefordert, Hochwasserrisikokarten bis Ende 2013 und Hochwassermanagementpläne bis Ende 2015 erarbeiten, so die Behörden.

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