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Offener Horizont

Zum ersten Entwurf des Wahlprogramm der Linkspartei

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 5 Min.

Man kennt das: Da soll das Wahlprogramm einer Partei diskutiert werden, möglichst von unten nach oben, mit Regionalkonferenzen und allem demokratischen Drum und Dran. Doch dann erfahren die Mitglieder und Funktionäre der Partei doch zuerst aus der Zeitung davon, da der Entwurf zu einem solchen Wahlprogramm dort schon für Schlagzeilen sorgt. Und weil in der Berichterstattung schon Pfade gelegt werden für kommende Auseinandersetzungen, weil für bemerkenswert erklärt wird, was womöglich gar nicht bemerkt wurde, ist aus der Partei ein Grummeln zu vernehmen: Wieso zuerst in der Zeitung? Früher oder später sind die Medien aber ohnehin einer der Orte, an denen die Diskussion geführt wird. Und so lohnt es mehr, einen genauen Blick auf Papier, Bericht und Wirklichkeit zu werfen.

„Tempolimit, Millionärssteuer, 500 Euro Hartz IV“, hat die „Welt“ ihren Beitrag betitelt, der aus einem ersten Entwurf zum Wahlprogramm der Linkspartei für den Herbst 2013 zitiert. Der Begriff „Sozialismus“ tauche „auf rund 100 Seiten nur zweimal auf“, wird dann messerscharf ermittelt - auch wenn sonnenklar sein dürfte, dass der im Herbst nicht zur Wahl steht. „Rund 100 Seiten“ klingt auch nicht sehr präzise, was einfach damit zu tun hat, dass der „erste Entwurf“ zum Wahlprogramm, jedenfalls das mit dem Datum 25. Januar versehene Papier, ein Fragment ist. „Ideen sind herzlich willkommen“, heißt es zum noch offenen Titel, „wird noch weiter konkretisiert“ heißt es da, wo die Linkspartei die nicht ganz unwichtige Frage beantworten will, wie und mit wem sie „gemeinsam das Land verändern“ will.

Schließlich läuft das auf die so emotional besetzte wie zentrale „Regierungsfrage“ hinaus - und die getreue Einhaltung des 2011 beschlossenen Parteiprogramms. Gerade in den vergangenen Tagen war vor dem Hintergrund der Niederlage in Niedersachsen darüber eine Diskussion ausgebrochen: ob man mit Offerten an SPD und Grüne, dann für Kooperation bereitzustehen, wenn ein wirklicher Politikwechsel auch möglich wäre. Wenn es nun in der „Welt“ heißt, „die größte Überraschung“ des Wahlprogramm-Entwurfs sei, dass „von der klaren Abgrenzung von rot-rot-grünen Koalitionsoptionen (den sogenannten roten Haltelinien) ... im Gegensatz zu früheren Wahlprogrammen in diesem Papier keine Rede mehr“ sei, werden landauf, landab viele Augenbrauen in die Höhe schnellen.

Doch das ist, jedenfalls in dieser ganz konkreten Haltelinien-Angelegenheit, gar nicht nötig. Denn sie stehen sehr wohl in dem Entwurf, zum Beispiel auf Seite 14 im Abschnitt, den sozialen Grundrechten gewidmet ist: „Die LINKE wird sich an keiner Regierung beteiligen, die Personal- und Sozialabbau vornimmt.“ Oder auf Seite 27: „Wir werden uns an keiner Regierung beteiligen oder sie tolerieren, die öffentliche Infrastruktur privatisiert.“ Nun kann man diese „roten Haltelinien“ gut finden oder sie ablehnen, ein erster Entwurf ist ohnehin ein erster Entwurf - und bevor daraus ein Leitantrag wird, den der Vorstand der Linkspartei auch erst einmal beschließen muss, sind bereits fünf Regionalkonferenzen terminiert und die Einladung zur öffentlichen Debatte ist auch schon hundertmal ausgesprochen worden. Und am Ende muss ein Parteitag darüber befinden - zu dem sicher jede Menge Änderungsanträge gestellt werden.

Dass der erste Entwurf des Wahlprogramms mehr nach Katja Kipping und Bernd Riexinger klingt als, sagen wir: nach der noch nicht einmal formell fusionierten Linkspartei der Bundestagswahl von 2005, sollte nicht verwundern. Der Ton des ersten Entwurfs zum Wahlprogramm klingt in der Tat anders als man es aus früheren Forderungskatalogen kennt. Es ist von „Sofortforderungen“ darin die Rede, welche die Linkspartei als notwendige Schritte zum Einstieg in einen „Politikwechsel“ ansieht: Mindestlohn, Rentenerhöhung, Rücknahme der Rente mit 67, Bürgerversicherung, Vermögensteuer, Abschaffung der Hartz-Sanktionen und Anhebung der Regelsätze auf 500 Euro, Verbot von Waffenexporten.

So oder so ähnlich hatte das in den vergangenen Wochen auch geklungen, wenn sich führende Linkspolitiker geäußert haben. Aber es ist darin kein Verzicht auf „Haltelinien“ auszumachen, sondern eher ein neues Herangehen an das Prinzip der eigenen Mindestforderungen: indem unterschieden wird zwischen „Maßnahmen“ die „nur ein Anfang“ sein könnten, mit denen aber deutlich gemacht werden soll, wie breit der Konsens konkreter Veränderungen ist. Zugleich bleibt es bei den Punkten, die viele in der Linkspartei als Glaubwürdigkeitsgaranten ansehen: zum Beispiel jener Satz auf Seite 50 des ersten Entwurfs, in dem die Linke verspricht, sie werde sich „nicht an einer Regierung beteiligen, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt“.

Ein Wahlprogramm ist ein Wahlprogramm ist ein Wahlprogramm. Ein solches Papier, über 80 Seiten schon in einer Fassung stark, die noch Leerstellen hat und in welche platzraubende Kompromissformulierungen so wenig schon eingearbeitet sind wie spezielle Forderungen, die Fachleute unbedingt in einem Wahlprogramm sehen wollen, ein solches Papier hat als Ganzes vor allem innerparteiliche Bestimmung. Es erneuert auf aktueller Stufe so etwas wie den politischen Grundkonsens einer Partei, dokumentiert Weiterentwicklungen - und es eröffnet neue Wege.

Einer davon weist in eine Richtung, die über Wahlen und Koalitionsfragen hinausgeht: „Oft sieh es aus, als würde Gesellschaft und Politik nur im Parlament und im Fernsehen gemacht“, heißt es da. „Doch soziale und demokratische Verbesserungen werden nur in enger Zusammenarbeit von außerparlamentarischen, sozialen Bewegungen und linken Kräften im Parlament erreicht - und gegen Widerstände.“ Man wolle als Linkspartei Verbindungen knüpfen und gemeinsam verändern. Ganz am Ende des ersten, noch unfertigen Entwurfs heißt es: „Der Horizont ist offen.“ Eine Debatte über das Wahlprogramm, welche die Weite dieses Horizonts in den Blick nimmt, wäre gar keine schlechte Debatte.

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