Wachablösung in Thüringen

FC Carl Zeiss Jena läuft dem FC Rot-Weiß Erfurt wieder den Rang ab

  • Matthias Koch
  • Lesedauer: 3 Min.
»Unsere Fans gehören derzeit zu den glücklichsten auf der Welt, weil wir binnen 16 Tagen zwei Mal gegen den Erzrivalen aus Erfurt gewonnen haben«, sagte Rainer Zipfel, Präsident des FC Carl Zeiss Jena, nach dem glücklichen 4:2-Erfolg seiner Mannschaft im Elfmeterschießen im Viertelfinale des Thüringenpokals am Dienstagabend im Erfurter Steigerwaldstadion. Trotz nasskalter Witterung hatten dort 10926 Zuschauer den zweiten Teil der Wachablösung im Thüringer Fußball gesehen. Wie schon beim 2:0-Meisterschaftssieg am 29. Oktober im mit 12000 Zuschauern erstmals nach der Wende ausverkauften Jenaer Ernst-Abbe-Sportfeld hatte der FC Carl Zeiss gegenüber dem FC Rot-Weiß die Oberhand behalten. Das neue Thüringer Kräfteverhältnis im Fußball spiegelt sich auch in der Regionalliga-Tabelle wider. Erfurt verliert wegen seiner chronischen Auswärtsschwäche (erst ein Punkt) und zuletzt drei Niederlagen in Serie immer mehr den Kontakt zum gesicherten Mittelfeld. Als Dreizehnten trennt die Schützlinge von Trainer Pavel Dochev nur noch ein Punkt von einem Abstiegsplatz. Jena ist dagegen glänzend in die Serie gestartet. Als Aufsteiger holten die viertplatzierten Ostthüringer zuletzt sechs Siege in Serie, ehe gegen Spitzenreiter VfB Lübeck »nur« ein 0:0 heraussprang. Jena vor Erfurt - das hat seit den 60er Jahren fast schon Tradition, zumindest bis zum Sommer 2001. Dann stieg Jena aus der Regionalliga Süd ab. Erfurt blieb damals in der dritten Liga - wenn auch nur durch den Lizenzentzug der Stuttgarter Kickers - und hatte fortan die Nase gegenüber Jena vorn. Während der FC Carl Zeiss vier Jahre lang in der viertklassigen Oberliga-Süd umherdümpelte, entwickelte sich Rot-Weiß zu einer gestandenen Regionalligamannschaft, die im Sommer 2004 sogar die Rückkehr in die 2. Bundesliga schaffte. Urplötzlich lagen zwischen Erfurt und Jena nicht nur rund 50 Kilometer Entfernung, sondern auch noch zwei Spielklassen. Doch der Fußball ist schnelllebig. »Vor einem halben Jahr haben wir im Finale des Thüringenpokals noch gegen die zweite Mannschaft des FC Rot-Weiß Erfurt im Elfmeterschießen verloren. Jetzt konnten wir zwei Mal in kürzester Zeit gegen die Profis gewinnen«, sagte Jenas Trainer Heiko Weber nach dem jüngsten Pokalfight, bei dem der Erfurter Kapitän Ronny Hebestreit für ein brutales Foul an Jenas Spielführer Torsten Ziegner nach zwei Sekunden wohl eine der schnellsten gelben Karten aller Zeiten sah. Die Gründe für die derzeitige Kräfteverschiebung im Thüringer Fußball sind vielfältig. Die finanziell seit Jahren nicht sonderlich gut dastehenden Erfurter bekamen nach dem Abstieg aus Liga zwei nur mit Mühe die Lizenz für die Regionalliga und mussten eine komplett neue Mannschaft mit vielen unerfahrenen Akteuren zusammenstellen. Jena blieb dagegen in den vergangenen Jahren nichts anderes übrig, als verstärkt auf den Nachwuchs zu setzen. Die ehemaligen A-Junioren-Spieler Ralf Schmidt und Tobias Werner sind jetzt beispielsweise aus der Mannschaft, die bis auf Torhüter Christian Person und Abwehrchef Holger Hasse praktisch mit der Oberligaelf identisch ist, nicht mehr wegzudenken. Zehn Siege in der Regionalliga, darunter sechs bei Auswärtsbegegnungen, führen in Jena jedoch zu einem unerwarteten »Problem«. Schließlich können 600 Euro Siegprämie pro Spieler auf Dauer sehr teuer werden. Erfurts Trainer Pavel Dochev hätte solche Sorgen sicher liebend gern. Vorerst hofft der Bulgare, dass das Pokalaus gegen Jena »kein Rückschlag ist«. Bei einem Abstieg ginge es für Rot-Weiß Erfurt erneut um die nackte Existenz des Vereins.
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