Rauchbomben in Uelzen

Ab 2014 bekommt auch das Lüneburger Land weniger Geld von der EU - die Folgen sind gravierend

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Als einzige altbundesdeutsche Region bekommt der Großraum Lüneburg, zu dem auch Uelzen gehört, die EU-Höchstförderung. Doch die niedersächsische Kreisstadt bringt seit 15 Jahren keinen ausgeglichenen Etat zustande. Die nun abgewählte CDU/FDP-Regierung hat zwar Entschuldung versprochen - doch dafür sollen soziale Standards wegfallen.

Uelzens wichtigste touristische Sehenswürdigkeit ist der Bahnhof. Hinterließ hier doch vor der Weltausstellung Expo 2000 der österreichische Künstler Friedensreich Hundertwasser seine markante Handschrift. Auch eine historische Altstadt gibt es: Unlängst beschloss der Uelzener Stadtplanungsausschuss, den motorisierten Verkehr weiter aus den Altstadtquartieren zu drängen. So soll am Schnellenmarkt die Zahl der Parkplätze reduziert werden, damit die Autos den historischen Fachwerkhäusern nicht unnötig den Charme rauben.

Monetäre Aphrodisiaka

Der Umbau geht einher mit der Sanierung der Fußgängerzone der Bahnhofstraße sowie des Alten Rathauses - und wird gehörig aus EU-Töpfen bezahlt. Denn Uelzen, obgleich in Niedersachsen liegend, zählt aus Brüsseler Sicht zum sogenannten Ziel-1-Gebiet. Mithin gehört der Großraum Lüneburg, zu dem auch der Landkreis Uelzen gehört, als einzige altbundesdeutsche Region zu jenen »Dürrezonen« der Republik, welche die höchste Förderung nötig haben. Brüssel überweist damit an die Region, die im Grunde den früheren Regierungsbezirk Lüneburg umfasst, von 2006 bis Ende 2013 881 Millionen Euro Aufbauhilfe.

Ab 2014 soll sich das aber ändern: Dann erhält mit dem Lüneburger Land auch Uelzen voraussichtlich den Stempel »Phasing-out«-Region verpasst. Man steht dann förderrechtlich nicht länger auf einer Ebene mit Vorpommern oder Ostsachsen, sondern rutscht eine halbe Stufe höher. Grund: Das Bruttoinlandsprodukt übersteigt inzwischen 75 Prozent des Mittelwertes der 15 »alten« EU-Länder von 2004. Dasselbe betrifft übrigens als erste ostdeutsche Regionen auch den Großraum Leipzig/Halle sowie den Südwesten Brandenburgs. Zwar streiten die jeweiligen Ministerpräsidenten noch in Brüssel um mögliche Zwischenfinanzierungs- oder Abfederungslösungen für jene drei Aufstiegskandidaten - doch intern wird hier wie da auch an einem Plan B gearbeitet.

Für Niedersachsen gehört hierzu etwa die mehr oder minder freiwillige Fusionierung von Landkreisen. So hat die Landesregierung etwa dem strukturschwachen Kreis Lüchow-Dannenberg angeraten, sich mit einem Nachbarn zusammenzutun - Lüneburg zum Beispiel, oder eben Uelzen.

Um der Liebe ein wenig auf die Sprünge zu helfen, hält Hannover auch einige monetäre Aphro- disiaka bereit. »Zukunftsvertrag« nennt sich ein solcher Lustmacher, der bisher indes nicht zwingend eine Kreisverschmelzung verlangt, zumindest aber unterschwellig dafür wirbt. Unterschreiben etwa Landkreise oder auch Kommunen diesen Kontrakt, übernimmt Niedersachsen drei Viertel ihrer laufenden Kassenkredite. Wer indes entschuldet werden will, muss zunächst selbst kräftig bluten. Immerhin bringt die seit 2001 von Otto Lukat (SPD) regierte 34 000-Einwohner-Stadt Uelzen bereits seit 15 Jahren keinen ausgeglichenen Etat mehr auf die Reihe. Allein besagte Kassenkredite, also die permanente Überziehung der städtischen Kontoguthaben, belief sich 2012 auf 44 Millionen Euro. So begann unlängst der Erste Stadtrat und Kämmerer Jürgen Markwardt (parteilos), »echte Rauchbomben in die Stadt werfen«, wie er es selbst nennt. Man merkt, der Mann ist gelernter Polizist.

In geheimer Runde

Im Klartext beinhaltet das 26 Punkte umfassende Streichprogramm beispielsweise Entlassungen in der Verwaltung, Wegfall des Weiterbeschäftigungsprogramms für Azubis sowie von Schülerprojekten, Schließungen von Grundschulen, Kürzungen bei Schwimmbad, Jugendtreff, Stadtbücherei und Grünpflege - aber auch Erhöhung von Steuern sowie der Parkgebühren in der Altstadt. Nicht zuletzt hier wird augenfällig, wie sehr sich dabei die Katze in den Schwanz beißt, wenn man zugleich beschließt, die Zahl der Parkplätze zu verringern.

Dennoch zeigt sich Markwardt höchst zuversichtlich, dass Uelzen damit nun überhaupt erst mal einmal bis März auf solch einen »Zukunftsvertrag« des Landes hoffen kann. Anfang 2012 schien selbst das aufgrund der hohen Verschuldung illusionär. Nun hofft man im Rathaus, über jene Entschuldungshilfe binnen zehn Jahren 75 bis 100 Millionen Euro sparen zu können.

Für die Streichliste hatte die Uelzener »Haushaltsausgleichskommission«, wie sich der kleine Zirkel aus Verwaltungsbeamten sowie einigen wenigen Abgeordneten bezeichnete, fünf Monate lang gestritten, gerechnet und gepokert - in geheimer Runde. Womöglich störte das aber auch keinen groß in Uelzen. Denn das öffentliche Interesse an den Stadtfinanzen wie auch den Klauseln jenes Spardiktats schien eher gering. Nur ganze 30 Uelzener Bürger fanden es im letzten Herbst überhaupt der Mühe wert, sich bei einer Informationsveranstaltung des Rathauses in die Tabellen zu vertiefen.

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