Vom Mietertelefon in die Regierung

Die KPÖ in Graz hat mit Sozialarbeit das Vertrauen der Wähler gewonnen

  • Ralf Leonhard, Wien
  • Lesedauer: 6 Min.
In turbulenten Gemeinderatssitzungen wurde zu Wochenbeginn die neue Grazer Stadtregierung bestimmt. Die KPÖ ist erneut vertreten, weil sie sich den drängenden sozialen Problemen in der Stadt widmet.

Wie in einer Schmuddelecke ist das Fraktionsbüro der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) im Grazer Rathaus im hintersten Winkel versteckt. Durch den Hof und über eine finstere Hintertreppe gelangt man zum Arbeitszimmer von Franz Stephan Parteder. Die Grazer Kommunisten sind Demütigungen gewohnt, doch haben sie es sich ganz gut eingerichtet in dieser Aschenputtelrolle. Sie punkten mit Bescheidenheit und Transparenz in einer Zeit, in der politische Parteien pauschal der Vorteilsnahme und Verschleierung anrüchiger Deals verdächtigt werden.

Bei den Gemeinderatswahlen am 25. November letzten Jahres überraschten die Stadtkommunisten mit dem österreichweit einmaligen Wahlergebnis von fast 20 Prozent der gültigen Stimmen. Damit belegten sie den zweiten Platz hinter der konservativen ÖVP, die sich mit den Sozialdemokraten und der rechten FPÖ einigen musste, um die Wahl von Bürgermeister Siegfried Nagl abzusichern. Die KPÖ, die beim Privatisierungsprogramm Nagls nicht mitmachen wollte, wurde ausgegrenzt. Entgegen der Gepflogenheit wurde ihre Spitzenkandidatin Elke Kahr bei der konstituierenden Sitzung von Gemeinderat und Stadtsenat am 24. Januar nicht zur Vizebürgermeisterin gewählt.

Die Amtsräume von Stadträtin Elke Kahr verraten nicht auf den ersten Blick, welche Partei hier residiert. Statt Marx oder Lenin hängt ein riesiges Porträt der adeligen österreichischen Friedensaktivistin Bertha von Suttner an der Wand. Ein roter Stern im Bücherregal ist eigentlich ein Kuschelpolster, Hammer und Sichel dienen als Briefbeschwerer. Obwohl die Insignien des Bolschewismus hier eher harmlos daherkommen, sieht Kahr keine Veranlassung, den Grundprinzipien der kommunistischen Ideologie abzuschwören. Genau das scheinen aber die meisten Medien von ihr zu erwarten. In den Tagen nach der Wahl wurde die zarte, fast zerbrechlich wirkende Frau in ein Wechselbad der Gefühle getaucht. Während sich der Boulevard um Homestories über »die rote Rebellin von Graz« anstellte und sich für ihre Vergangenheit als Adoptivkind interessierte, machten sie Kolumnisten landauf, landab für sämtliche Verbrechen Josef Stalins verantwortlich. Man hatte den Eindruck, dass in Graz mehr als 20 Jahre nach dem Ende des Realsozialismus in Europa die Einführung von Gulags oder die Diktatur des Proletariats drohte.

Als am 9. November 1989 die Berliner Mauer eingerissen wurde, brach für die damals 30-jährige Elke Kahr keine Welt zusammen. Denn aus eigener Anschauung sah sie die DDR damals schon illusionslos: »Auch wenn das eine oder andere positiv erlebt wurde in dem Land, war das auf Dauer nicht haltbar, dass man die Leute - ich sag es jetzt sehr einfach - einsperrt.« Diese Erfahrungen seien aber kein Grund, das Streben nach sozialer Gerechtigkeit generell zu entsorgen. Anders als der SPÖ gelingt es der KPÖ, dieses Ideal in der Praxis glaubwürdig zu leben. In gewisser Weise sei der Untergang des Realsozialismus der Beginn des Aufstiegs der Grazer, KPÖ, denn die Menschen hätten jetzt keine Angst mehr, dass die Partei von Moskaus ZK ferngesteuert sei. »Aber das allein reicht nicht aus«, sagt Elke Kahr. »Sonst müsste es ja woanders auch so sein«. Weder in den anderen Regionen Österreichs noch in den meisten EU-Ländern sind die Kommunisten eine ernstzunehmende Kraft.

Die Grazer KPÖ wird von der Bevölkerung als jene Partei wahrgenommen, die am meisten für Ehrlichkeit in der Politik und soziale Gerechtigkeit eintritt. Erna D., die für die katholische Caritas arbeitet, wählt genauso ohne Gewissensbisse die KPÖ wie Maria H., eine Pensionistin, deren Substandardwohnung auf Betreiben der KPÖ saniert wurde.

Miete und Wohnen sind die Themen, mit denen sich die Kommunisten in Österreichs zweitgrößter Stadt profilieren konnten. Dieses Rezept verdanken sie den Parteikollegen aus der französischen Industriestadt Lille. Eine Delegation erzählte 1991 vom Erfolg einer Hotline - Téléphone d'urgence, wie es auf Französisch heißt - für Mieter, die unmittelbar vor der Zwangsräumung standen. KP-Mandatsträger hätten wiederholt verhindert, dass zahlungsunfähige Familien auf die Straße gesetzt wurden. Diese Idee wurde vom damaligen KP-Gemeinderat Ernest Kaltenegger aufgegriffen. Er richtete ein Mietertelefon ein, das ein großer Erfolg wurde. Kal᠆tenegger wurde 2003 mit 20 Prozent der Stimmen erstmals in die Stadtregierung gewählt und setzte die Sanierung Tausender Gemeindewohnungen durch, die nicht mit Bad und Heizung ausgestattet waren. Die Mieterberatung der KPÖ wurde zum Hit, weil dort nicht nur unentgeltliche Rechtsberatung geleistet wird. Auch wenn eine Waschmaschine repariert werden muss oder andere außergewöhnliche Zahlungen anfallen, kann man auf unbürokratische Soforthilfe hoffen. Finanziert wird der Fonds nicht mit öffentlichem Geld, sondern von Beiträgen der kommunistischen Funktionsträger, die alles abführen, was 2000 Euro übersteigt. Seit 1998 sind das mehr als 1,3 Millionen Euro. Kahr steckt von ihrem Monatsgehalt nur 1800 Euro ein. »Mit dem Rest finanziere ich beispielsweise für alleinerziehende Mütter in Not den Skikurs der Kinder oder die Zahnspange, helfe bei Mietrückständen oder beim Ankauf von Heizöl.« 2012 waren es mehr als 53 000 Euro.

Diese Wohltätigkeit wird der KPÖ von manchen Medien zur Last gelegt. Von einer linken Caritas ist da die Rede oder von einem Mieterschutzverein mit Parteistatut. Diese Vergleiche findet Elke Kahr unangebracht. Denn anders als beim Mieterschutzverein sei ihre Beratung kostenlos: »Sogar Vermieter kommen, um ihre Verträge überprüfen zu lassen.« Außerdem vermittle man in Mieterstreitigkeiten, etwa bei Lärmbelästigung. Dank der Vertretung in den politischen Gremien und der Zuständigkeit für das Wohnressort in der Stadtregierung könne man auch Verbesserungen durchsetzen. Und auch zur Caritas grenzt sie sich ab: »Der Unterschied zwischen uns und dem christlichen Glauben ist, wir wollen die Menschen nicht vertrösten, dass sie nach dem Tod in eine bessere Welt kommen. Wir wollen die Menschen befähigen, sie jetzt zu erhalten.«

Kaltenegger, der in Graz eine allgemein respektierte Persönlichkeit ist, wechselte 2008 in den steirischen Landtag und ist inzwischen im Ruhestand. Seine Nachfolgerin, die heute 53-jährige Elke Kahr, hat seine Tradition aber fortgesetzt. Bei ihrer ersten Kandidatur vor fünf Jahren konnte sie zwar die hohe Wählerzustimmung nicht halten und stürzte auf elf Prozent ab, doch inzwischen hat sie mit ihrem eigenen Charme den Stimmenanteil fast verdoppelt.

Im Zweiten Weltkrieg wurde in der Steiermark der Widerstand gegen die Nazidiktatur vor allem von den Kommunisten getragen. Sie verfassten Flugschriften und organisierten Sabotageakte. Mehrere wurden gefasst und hingerichtet. Auch Maria Cäsar war schon 1939 wegen Verteilens von Flugzetteln und Unterstützung politischer Gefangener der Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt. 1943 wurde ein Kollege festgenommen, mit dem sie Geld für die Rote Hilfe gesammelt hatte. »Er hat der Gestapo nie meinen Namen verraten«, erinnert sich die 92-Jährige: »Er wurde dann zum Tode verurteilt und ich verdanke ihm mein Leben.« Für Leute wie Maria Cäsar, die noch gerne als Zeitzeugin in Schulen auftritt, war und ist die KPÖ immer die einzige glaubwürdige politische Kraft. Anderswo hat sie aber massive Nachwuchsprobleme. In Wien engagieren sich politisch interessierte junge Menschen lieber bei den Grünen, marxistischen Splittergruppen oder in einer Menschenrechtsorganisation.

Martina Thomüller ist mit 21 Jahren das jüngste Mitglied des Grazer Gemeinderates. Die gelernte Bäckerin hat keine Angst, dass sie der Aufgabe nicht gewachsen sein könnte: »Ich habe genug Zeit gehabt, mich vorzubereiten«, sagt die Nachwuchspolitikerin. In dieser Zeit sei sie von Elke Kahr »zärtlich« auf die entsprechende Ebene geführt worden. Für Frauen, Umwelt, Tierschutz und Jugend will sie sich einsetzen. Gerade um die Jugend müsse man sich kümmern, »weil die Politikverdrossenheit ist groß«. Auf zehn Jahre Erfahrung als Politaktivist kann der Gemeinderat Robert Krotzer mit seinen 25 Jahren zurückblicken. Er kam als Vorsitzender der Kommunistischen Jugend ins Grazer Rathaus. Auf der Uni will er in einem Lesekreis Marx' »Kommunistisches Manifest« analysieren.

Die Frage, ob der Erfolg der KPÖ in Graz ein Weckruf für die Bundespartei sein könne, beantwortet Elke Kahr nüchtern: »Das kann man nicht so einfach kopieren.«

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