Lauter Tischherren

Bremens Schaffermahlzeit findet auch im 469. Jahr ohne Frauen statt - Änderung ist nicht in Sicht

  • Alice Bachmann, Bremen
  • Lesedauer: 3 Min.

Wohltätigkeit hat Tradition in der calvinistisch geprägten Hansestadt Bremen. So wird heute, wie üblich am zweiten Freitag im Februar, im denkmalgeschützten, zum Weltkulturerbe gehörenden Bremer Rathaus die 469. Schaffermahlzeit eingenommen.

Sie gilt als das älteste Brudermahl der Welt und hat eine Vielzahl komplexer Protokoll-Vorschriften. Wobei - das ist die Tücke der Tradition - die Betonung auf »Bruder« liegt: Trotz massiver Proteste und Spötteleien sind Frauen nicht zu diesem Essen für den guten Zweck zugelassen. Weder als Mitglied der ausrichtenden Stiftung »Haus Seefahrt«, noch als Gast. Ausnahmen waren lediglich Angela Merkel (CDU) und eine Kapitänin.

Die Statuten der Stiftung sind alt und auf einer noch existierenden Urkunde überliefert. Und sie besagen, dass Kapitäne und Kaufleute auf Einladung Mitglied werden können und damit am »Schaffermahl« teilnehmen dürfen - auch auf Einladung. Wenn also unter den von der Stiftung unterstützten bedürftigen Nautik-Studierenden eine Studentin ist, die ihr Kapitänspatent schafft und dann mindestens zwei Jahre zur See fährt, hat sie die Chance bei der Schaffermahlzeit mit am festlich gedeckten Tisch zu sitzen. Schließlich ist sie »Kapitän«.

So sitzt also nicht Bremens Bürgermeisterin Karoline Linnert (Grüne) im vorgeschriebenen Frack mit an der langen Tafel, wohl aber Jens Böhrnsen (SPD), Bremer Bürgermeister und Präsident des Senats. Sein Tischherr ist der diesjährige Ehrengast Stanislaw Tillich (CDU), Ministerpräsident des Freistaats Sachsen. Ein Mahner in Sachen Haushaltsdisziplin, räumte Jens Meier-Hedde, Verwaltender Vorsteher vom »Haus Seefahrt«, im Vorfeld des diesjährigen Schaffermahls vor Pressevertretern ein. Da komme es vielleicht zu einem Austausch mit Böhrnsen, der das Haushaltsnotlageland Bremen durch schwere See zu manövrieren hat. Außerdem sei Tillich Sorbe, für den Deutsch die erste Fremdsprache war, die er lernte, erklärte Meier-Hedde. Und sagte als Replik auf die leidige »Frauenfrage«, dass Tillich ja quasi so etwas wie ein Angehöriger einer Minderheit sei.

Mitglieder der Stiftung und damit »Schaffer« können neben Kapitänen mit mindestens zwei Jahren auf See auch Kaufmänner werden. Zweck der Stiftung ist die Versorgung von Bedürftigen in den Reihen der seemännischen Mitglieder. Es handele sich hier um eine Vorsorgekasse, die weit älter als die Rentenversicherung sei, so der Vorsteher von »Haus Seefahrt«. Die Stiftung unterhält mit dem »Seefahrtshof« eine Wohnanlage für bedürftige Seeleute, deren Witwen und seit drei Jahren auch für Nautikstudierende. Außerdem können Mitglieder, wenn sie persönliche finanzielle Probleme haben, Unterstützung beantragen. Ein Stiftungs-Gremium prüft, ob die Voraussetzung der Bedürftigkeit vorliegt.

Rund 80 Prozent der Stiftungseinnahmen stammen aus den Spenden, die während des Schaffermahls eingesammelt werden. Der Rest sind Mitgliedsbeiträge. Was das in Euro bedeutet, wird nicht bekannt gegeben, erklärte Meier-Hedde mit Verweis auf die Tradition. Und so äußerte sich auch Kapitän Holger Janssen während eines Rundgangs durch die Wohnanlage »Seefahrtshof«. Allein, dass bis 2009 bei den Spendeneinnahmen noch nichts von der Krise zu spüren gewesen sei, verriet Meier-Hedde.

Im Bremer »Seefahrtshof« wohnen 41 pensionierte Kapitäne, allein oder mit Ehefrau, dazu noch fünf Nautik-Studierende. Auch hier gibt es ein ritualisiertes Gemeinschaftsleben. Zum Jahreskreis gehört das »Prövenermahl« - das Reste-Essen am Tag nach der »Schaffermahlzeit«. Hier sitzen die Frauen wie selbstverständlich mit am Tisch.

Frackzwang

Die Stiftung »Haus Seefahrt« unterstützt seit dem 16. Jahrhundert bedürftige Seeleute und deren Angehörige, seit drei Jahren auch Nautik-Studierende. Stiftungsmitglieder können Bremer Kapitäne, Kaufleute und Unternehmer werden. Am zweiten Freitag im Februar richtet die Stiftung das »Schaffermahl« – der Name kommt von »Schaffen« beziehungsweise »Geschäft« – aus, um Spenden zu sammeln. Zu den Regeln des Essens gehörten der Frackzwang sowie ein strenger Zeit- und Speiseplan. Am Tisch im Bremer Rathaus sitzen je 100 seemännische und kaufmännische Mitglieder, dazu etwa 100 geladene auswärtige Gäste. (alba)

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