Sparparadoxon verschärft Krise
Ökonom Heinz-J. Bontrup: Der Fiskalpakt wird sich selbst erledigen
● Der Europäische Fiskalpakt sieht niedrige Obergrenzen für die staatliche Neuverschuldung sowie automatische Sanktionen für Länder vor, die Regeln brechen. Was halten Sie von dem Konzept?
Der Fiskalpakt wird prozyklisch wirken. In der Krise sollte der Staat angemessen mit Staatsausgaben reagieren und gegensteuern können. Der Fiskalpakt verhindert das. Insofern wird er krisenverschärfend wirken.
Am 2. März 2012 unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs von 25 der 27 EU-Länder den Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion. Nur Großbritannien und Tschechien blieben dem Fiskalpakt fern.
Vorgeschlagen hatten ihn Kanzlerin Angela Merkel und der damals noch amtierende französische Präsident Nicolas Sarkozy, nachdem zuvor eine Änderung der EU-Verträge nicht durchsetzbar war. Der Fiskalpakt ist für die Unterzeichnerländer bindend. EU-Recht hat ihm gegenüber aber Vorrang. Und der Fiskalpakt ist jederzeit kündbar. In Kraft trat er am 1. Januar 2013, nachdem zuvor das 16. Land den Vertrag ratifiziert hatte. Mittlerweile haben 17 Staaten die Ratifizierung abgeschlossen: Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Österreich, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien und Zypern.
Der Fiskalpakt soll größere Haushaltsdisziplin vor allem bei den Euroländern erzwingen. Neu an ihm ist vor allem die verbindliche Einführung nationaler Schuldenbremsen nach deutschem Vorbild, vorzugsweise mit Verfassungsrang. Diese sollen dafür sorgen, dass das jährliche strukturelle, also um Konjunktur- und Einmaleffekte bereinigte Haushaltsdefizit 0,5 Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts nicht überschritten wird. Hierzu muss jeder Vertragsstaat ein mittelfristiges Haushaltsziel festlegen, das dieser Grenze entspricht. Zudem verschärft der Fiskalpakt existierende Bestimmungen etwa des Euro-Stabilitätspaktes. So sieht er ein weitestgehend automatisches Sanktionsverfahren bei Verstößen gegen die Maastricht-Kriterien vor.
Der Fiskalpakt erhält dadurch mehr Gewicht, dass er mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) verknüpft wurde: Künftig sollen nur noch jene Staaten, die den Fiskalpakt ratifiziert und entsprechend eine Schuldenbremse implementiert haben, Anspruch auf Finanzhilfen aus dem dauerhaften Rettungsschirm haben. Der ESM, der ein Stammkapital von 700 Milliarden Euro hat, war bereits im vergangenen Herbst in Kraft getreten. (KSt)
● Der Pakt trat erst am 1. Januar in Kraft. Lässt sich dennoch schon etwas über seine Folgen sagen?
Seine krisenverschärfenden Wirkungen haben sich schon empirisch in den südeuropäischen Ländern gezeigt. Dort werden ja drastische Kürzungshaushalte - von Sparhaushalten sollte man lieber nicht reden - bereits umgesetzt. Trotzdem ist die Staatsverschuldung nicht wie erhofft gesunken. Im Gegenteil: Sie ist noch größer geworden.
● Ihnen geht es aber nicht nur um die Schuldenbremse.
Ich lehne den Fiskalpakt und auch die frühere Grenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts grundsätzlich ab. Weil sie dem Staat konjunkturell und auch strukturell zu viel Handlungsspielraum nimmt. Das »Deficit Spending« muss ohne Grenzen möglich sein. Denn der Staat verbleibt in der Krise als einziger Akteur auf dem kapitalistischen Spielfeld! Und er muss dann frei handeln können.
● Was nicht allein eine Frage der Fiskalpolitik ist …
… sondern auch der Geldpolitik. Sie muss in der Krise auch die Zinsen nach unten bringen. Was sie aktuell tut. Sie darf also nicht das Geld verknappen.
● Wachsen den Staaten die Schulden nicht über den Kopf?
Richtig. Ich bin auch gegen endloses Schuldenmachen. Die Kreditaufnahme des Staates muss kompensiert werden durch eine entsprechende Steuerpolitik. Im Blick auf die europäische Krise sind dies zwei wesentliche Aspekte: Erstens eine Vermögensabgabe, welche die überschüssige Liquidität der Privaten und Unternehmen für, sagen wir, zehn Jahre mit zwei Prozent abschöpft. Zweitens eine permanente Vermögensteuer von einem Prozent auf das Nettovermögen. Dazu kommt eine Finanztransaktionssteuer, die den Namen verdient. Unsere Memorandum-Gruppe hat dazu ein ausführliches Fiskalkonzept erarbeitet.
● Bietet der Fiskalpakt nicht auch die Chance, solche Ideen umzusetzen? Regierungen können nun nicht mehr einfach in Schulden flüchten, sondern müssen stärker auch über die Einnahmeseite nachdenken.
Es wäre eine Chance, nur man ergreift sie nicht! Beim Staat sieht man leider wiederum nur die Ausgabeseite und will darüber die Schulden restriktiv abbauen. Dann sind Regierungen schnell bei den Sozialausgaben, auch weil dies der größte Bereich ist. Man »spart« bei Maßnahmen für die Arbeitsmärkte. Das ist kontraproduktiv, verschärft die Krise und vertieft die soziale Spaltung in Europa. Das ist der eindeutige Befund.
● Eine weitere Ausgleichsmöglichkeit könnte ein Wachstums- und Beschäftigungspakt sein. Den wollen im Prinzip auch die Staats- und Regierungschefs der EU.
Ich würde gerne von Beschäftigungspakt sprechen. Vor allem in Südeuropa sind die Arbeitsmärkte in einem katastrophalen Zustand - ich denke etwa an die 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Wir brauchen einen ökologisch-sozialen Beschäftigungspakt, den der Staat finanziert.
● Sehen Sie denn auf EU-Ebene Bewegung in diese Richtung?
Nein, leider nicht.
● Wird der Fiskalpakt nicht ein Ladenhüter werden? Fast alle EU-Länder liegen weit über den Vorgaben der Schuldenbremse und werden diese absehbar verfehlen.
Das sehe ich genau so. Wir Ökonomen sprechen von einem Sparparadoxon: Das Sparen des Staates führt zu weniger Nachfrage und weniger Investitionen und damit zu weniger Staatseinnahmen. Der Staat gräbt sich dadurch immer tiefer ein. Die europäische Politik wird sich bald die Frage stellen müssen: Wie geht man mit den falsch gesetzten Vorgaben um, wenn sie nicht erfüllt werden? Der Fiskalpakt wird sich insofern selbst erledigen.
Fragen: Hermannus Pfeiffer
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