Grüne auf Harmonie gebürstet

Landesvorsitzende Bettina Jarasch und Daniel Wesener wiedergewählt / Partei wirbt für einen »Green New Deal«

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Hätte man auf dem Grünen-Landesparteitag am Sonnabend im Kreuzberger Umweltforum nach einer innerparteilichen Konfliktlinie gesucht, das Unterfangen wäre wohl erfolglos geblieben. Die mehr als 130 Delegierten verordneten sich sechs Monate vor der Bundestagswahl Harmonie, während sich die Attacken allein auf den politischen Gegner konzentrierten. Keine Spur von den Querelen, die sich nach den gescheiterten Koalitionsverhandlungen mit der SPD nach der letzten Abgeordnetenhauswahl häuften. Spätestens seit Sonnabend befindet sich der Landesverband im Wahlkampfmodus.

Mit wie viel Selbstbewusstsein die Grünen derzeit wieder agieren, zeigte sich an den Wahlergebnissen der beiden Landesvorsitzenden Bettina Jarasch und Daniel Wesener. Nimmt man den Applaus für beide Bewerbungsreden als Indikator, bestand bereits vor Abgabe der Stimmzettel kein Zweifel an einem starken Ergebnis. Im Vergleich zu ihrer ersten Wahl 2011 verbesserte sich Jarasch um zehn auf 94,5 Prozent, während Wesener sogar um fast 20 Prozent auf 95,4 Prozent zulegte. Das Harmoniegebot schien an diesem Tag selbst für Prozentzahlen zu gelten.

Kein Wunder, stellten sich der Parteilinke Wesener und die dem Realoflügel zuzurechnende Jarasch doch als Team zur Wiederwahl. Entsprechend herrschte klare Aufgabenteilung: Während die 44-Jährige in ihrer Rede eher sachbetont auftrat und erklärte, die Grünen müssten »gesellschaftliche Mehrheiten in politische Mehrheiten verwandeln«, zeigte sich der Co-Vorsitzende angriffslustig. An die Adresse von Klaus Wowereit (SPD) gerichtet sprach Wesener vom »Nicht-Regierenden Bürgermeister«, der sich erdreiste, von den Berlinern ein stärkeres Bekenntnis zu ihrer Stadt einzufordern, während die rot-schwarze Koalition kaum noch politisch agiere. »Wir übernehmen gerne«, sagte der 37-Jährige.
Dabei befinden sich die Grünen durchaus in einem Dilemma: Während sich der Landesverband auch am Sonnabend für die Bundestagswahl klar auf einen rot-grünen Lagerwahlkampf vorbereitete, müssen sich die Grünen auf Berliner Ebene deutlich von der SPD abgrenzen, um ihre Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren. Fast schon ein wenig wehmütig müssten die Hauptstadtgrünen da nach Nordrhein-Westfalen blicken, wo seit 2010 Rot-Grün regiert. Als Gastrednerin trat die dortige Vize-Ministerpräsidentin und Bildungsministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) auf, die dem Berliner Senat »Stillstand« und eine »rückwärtsgewandte« Politik attestierte. Grüne regierten dagegen »planvoll, unaufgeregt und mitnehmend«, sagte Löhrmann.

Ohne nennenswerte Debatte beschlossen die Delegierten einstimmig den vom Landesvorstand eingebrachten wirtschaftspolitischen Leitantrag »Anders Wirtschaften«. Darin fordert die Ökopartei nicht weniger als einen »Green New Deal« für Berlin. In der Hauptstadt ansässige Unternehmen sollen ermuntert werden, auf eine »ressourcen- und energiesparende Produktion umzusteigen«. Die Grünen rechnen auf Grundlage von Zahlen der Industrie- und Handelskammer mit einem jährlichen Einsparpotenzial von 3,5 Milliarden Euro für die Berliner Wirtschaft. Im Mittelpunkt einer grünen Wirtschafts- und Innovationsförderung stehe eine Energie- und Verkehrswende für Berlin. Gemeinwohlorientierte Unternehmen, wie etwa Wohnungs- und Energiegenossenschaften, müssten stärker als bisher gefördert werden, heißt es im Leitantrag. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Flughafengelände in Tegel zu. Hier wollen die Grünen einen Entwicklungspark für grüne Zukunftstechnologien ansiedeln. Dafür müsste allerdings erst einmal der neue Hauptstadtflughafen BER in Schönefeld eröffnen, damit der Airport in Tegel geschlossen werden kann.

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