Unterbrechungen in vielfältigen Variationen

Eine Installation konkreter Kunst von Horst Bartnig in der Galerie Parterre

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 3 Min.

Die konkrete Kunst ist jene ungegenständliche Richtung, die Linie, Farbe, Fläche, Raum als autonome künstlerische Mittel einsetzt und ihre bildnerischen Elemente aus einem mathematisch kalkulierten Formenrepertoire bezieht. Der Berliner konkrete Künstler Horst Bartnig hat jahrzehntelang eigentlich »nur« zwei Themen bearbeitet: »Variable Systeme« und »Unterbrechungen«. In den siebziger Jahren hat er mit dem aus vier Elementen bestehenden variablen System begonnen: Die vier Komplementärfarben Grün, Rot, Gelb und Violett bilden jeweils ein Rechteck und zwei Quadrate und fügen sich zu einem größeren Quadrat zusammen. Dreht man die geometrischen Elemente, dann ergibt sich eine ganze Variationsfolge. Kein Bild ist dem andern gleich. Werden je zwei Farben durch die Nichtfarben Schwarz und Weiß ersetzt, so öffnen sich durch deren Positiv- und Negativ-Wirkung die geschlossenen Quadrate zu vielgestaltigen Formationen und erreichen eine enorme Variabilität.

Die parallel dazu entwickelten »Unterbrechungen« basieren dagegen auf dem grafischen Element der Linie, die schwarz, aber auch farbig, in regelmäßiger vertikaler Anordnung die Bildflächen füllt. In einem bestimmten Rhythmus werden diese Vertikalen durch Pausen »unterbrochen«. Wenn sich Bartnig bis auf sechs Farben festlegt, kommt er bis auf 60 Unterbrechungen. Man kann zudem schwarze Unterbrechungen mit weißen Strichen und weiße Unterbrechungen mit schwarzen Strichen vornehmen. »Die Unterbrechungen sind wie Pausen in der Musik«, so Bartnig, wie das zeitweilige Schweigen der Stimmen.

Zur Demonstration seiner Variationen und Folgen hat er jetzt den großen Ausstellungsraum der Galerie Parterre völlig umgestaltet. An den Wänden hängen in Hoch- und Querformat seine jüngst entstandenen »Unterbrechungen« in Blau (mit Streifen in Orange), in Violett (mit Streifen in Grün), in Weiß (mit Streifen in Schwarz), in Schwarz (mit Streifen in Weiß). Die Säulen wurden umkleidet mit hochformatigen »Unterbrechungen« in Schwarz und Weiß (mit Streifen in vier Farben auf farbigem Grund), mit Strichen in drei Farben, mit Quadraten in Schwarz und Weiß, Rechtecken in Grün und Rot, Orange und Violett und anderen Kombinationen. Hier ist ein beeindruckendes Gesamtkunstwerk entstanden.

Der Raum ist so exakt auf die Struktur der Arbeiten ausgerichtet, dass der Betrachter, wo auch immer er steht, sich dreht oder wendet, sich wie in einem flutenden, durchpulsten, rhythmisierten Raum wähnt. Zum einen fühlt er sich förmlich in die Arbeiten hineingezogen, dann aber wird er auch wieder auf Distanz zu ihnen gehalten.

Trotz der rationalen Verfahrensweise mit den geometrischen Bildelementen - die Prozesse bleiben in jeder Phase für den Betrachter kontrollierbar - ergibt sich ein komplexer malerischer Eindruck, der aus der Relation der Farben untereinander hervorgeht. Zudem entsteht vornehmlich durch die unterschiedliche physische und psychische Wahrnehmbarkeit der Farben, durch das optische Hervortreten bzw. Zurückweichen der einzelnen Farbfelder ein imaginärer reliefartiger Bildraum. Und so bilden sich bei einer variierten Farbigkeit mehrere solcher Raumschichten, die in- und miteinander verschmolzen sind.

Bewegungs- und Denkformen entstehen: vertikal. horizontal, kreuzförmig, wellenförmig, spiralförmig, zickzackförmig, die Verlaufsbewegung eines Mäanders, Reihungen, Parallelen, Serien, Wiederholungen, Verschachtelungen, Deduktionen sowie ihre vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten. Eine streng durchdachte Form, die den Zufall ausschließt. Die Unterbrechungen verschieben sich ständig, sie durchkreuzen die geregelte Abfolge der Linien. Es entsteht ein bewegtes Feld von Verdichtung und Auflösung, Aufsteigen und Abfallen, An- und Abschwellen der Tonwerte. Die Formen jagen und verrätseln sich: Frequenzen, Anläufe, Abläufe, Rhythmen, Stauungen, Anschwellungen, Unterbrechungen und wieder Fortschreibungen. Ein faszinierendes Erlebnis, das einen zugleich richtige »Forschung« betreiben lässt, um hinter das »Geheimnis« zu kommen.

Horst Bartnig - konkret. Galerie Parterre, Danziger Str. 101, 10405 Berlin, Mi-So 13-21 Uhr, Do 10-22 Uhr, bis 28. April.

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